Heldenwinter
Anlass zum Naserümpfen.
In einer Sackgasse zwischen zwei Kaschemmen, wo sowohl die Huren ihre Laken als auch ein paar Fischer ihre Netze zum Trocknen aufgehängt hatten, packte Dalarr den Herzfinder aus. Er schlug ihn gegen das Pflaster und folgte seinem Klingen zurück auf die Straße und dort nach links, an einer Reihe heruntergekommener Tavernen vorbei.
»Gleich«, murmelte er. »Gleich.«
In genau dem Augenblick, als er sich der Tür eines Gasthauses zuwandte, wurde diese unter großem Gejohle und Gegröle aufgestoßen. Unter Verwünschungen und Spottrufen beförderte eine Horde Besoffener jemanden mit Fußtritten und Schlägen über die Schwelle. Der Hinausgeworfene – ein gedrungener, haariger Fettkloß – taumelte noch bis zur Mitte der Straße, wo er unmittelbar vor Dalarrs Füßen mit einem Grunzen und einem Furz zusammenbrach.
Namakan konnte nicht anders, als das Gesicht zu verziehen und erschrocken einen Schritt zurückzuweichen. Der kleine dicke Mann, der vor ihm lag, trug keinen Bart, sondern eine verfilzte Matte am Kinn, die ein wenig aussah, als hätte er sich eine von einem Wagenrad plattgefahrene, verwahrloste Katze ins Gesicht geleimt. Auf der Spitze seiner riesigen Nase prangte eine nicht minder riesige Warze, deren Gewicht anscheinend ausreichte, um eine seiner Nüstern zuzudrücken. Die Augen, unter buschigen Brauen halb versteckt, rollten in ihren Höhlen hin und her, als der Kerl anscheinend versuchte, herauszufinden, wo oben und unten war.
»Eisarn?«, ächzte Dalarr entsetzt.
Als hätte es noch einer Bestätigung bedurft, wer sich da nach bitterem Wein stinkend auf der Straße wälzte, wurde die Tür des Gasthauses noch einmal aufgerissen. In hohem Bogen flog ein verbeulter Helm durch die Luft und landete scheppernd neben seinem Besitzer. Auch seine Pracht hatte schwer gelitten: Vier der sechs Hörner waren nur noch splittrige Stumpen. Der goldene Nasenschutz fehlte ganz und war offenbar mit Gewalt herausgebrochen worden. Zudem konnte sich Eisarn nicht mehr darauf verlassen, dass der Helm sein linkes Ohr vor Treffern schützte, denn auf dieser Seite war ihm die Spange abhanden gekommen.
»Kroka lehrt uns, die Ehre eines Mannes danach einzuschätzen, wie ehrenhaft seine Freunde für gewöhnlich auftreten«, merkte Ammorna betont sachlich an.
Morritbi verfiel daraufhin in keckerndes Gelächter, nur hier und da unterbrochen von einem gejapsten »O ihr Geister!«. Kjell sah betreten zu Boden, und Tschumilals Gesicht war eine Maske vollkommenen Unverständnisses.
»Dridd!« Dalarr stupste den Zwerg mit der Stiefelspitze an. »Steh auf!«
»Lass mich!«, brüllte Eisarn, wie wenn ihm Dalarr einen glühenden Stab in die Rippen gerammt hätte. »Lass mich liegen, du Mullficker!«
»Reiß dich zusammen!«, mahnte ihn Dalarr drohend.
Der Zwerg blinzelte, ehe er wieder aus Leibeskräften brüllte. »Geh weg! Geh weg! Du bist nicht echt!«
»Hol’s doch der Morulfur!« Dalarr bückte sich, packte die Knöchel des Zwergs und schleifte ihn quer über die Straße auf einen der Piere zu. Das Gejohle und Gegröle von eben fand seinen Widerhall in den Pfiffen und begeisterten Schreien einiger Fischer und Stauer, die großen Gefallen an dem ulkigen Schauspiel fanden. Die grobe Behandlung, die ihm widerfuhr, verleitete Eisarn lediglich zum Ausstoßen weiterer Beschimpfungen und einem lautstarken Festhalten an der Überzeugung, Dalarr wäre nicht mehr als ein vom Weinrausch heraufbeschworenes Gespenst aus seiner Vergangenheit. Dass dieses Gespenst in der Lage war, ihn durch die Gegend zu zerren, schadete der Illusion offenkundig nicht.
Auf halber Länge des Piers ließ Dalarr Eisarns Beine los, ging um ihn herum und rollte ihn wie einen Sack von den Bohlen herunter. Ein sattes Platschen ertönte, dann schlossen sich die Wasser des Silvrets über dem betrunkenen Zwerg. Sein Kettenhemd, das mehr durch verkrusteten Rost als die ineinander gefügten Glieder zusammengehalten wurde, zog ihn rasch in die Tiefe. Das Publikum spendete artig Beifall.
Dalarr klopfte sich die Hände ab und schlenderte gelassen zurück zu den anderen.
»Er wird ersaufen.« Kjell zeigte sich besorgt.
»Wird er nicht.« Dalarr schüttelte den Kopf. »Hast du sein Gebrüll nicht gehört? Er hat Lungen wie ein Stier.«
Namakan, der die Zuversicht seines Meisters nicht ganz teilen wollte, behielt die Stelle im Auge, an der Eisarn in den Fluten verschwunden war. Luftblasen blubberten munter an die Oberfläche. Sie wurden rasch
Weitere Kostenlose Bücher