Herz in Gefahr (German Edition)
in ein grellbuntes Cape und mit billigem Tand behängt, nach Kunden Ausschau halten. Der Stadtbüttel erlöste gerade die Verbrecher, Diebe und Leute mit geringerem Vergehen, vom Pranger, an dem sie den ganzen Tag lang, an Hals und Händen angeschlossen, gestanden hatten und eine Flut von Beschimpfungen und Unrat über sich ergehen lassen mussten. In allen Straßen herrschte reges Treiben. Händler, Handwerker und Bauern räumten ihre Stände auf dem Markt ab und ein Mistsammler war mit seinem Karren unterwegs, um die Stadt vom größten Dreck und Unrat zu säubern. Überall hörte man, wie Bettler die Vorübergehenden um Almosen anflehten, und zwischen all dem Getöse ertönte manchmal das Glöckchen der Aussätzigen und ihr Ruf »Unrein, unrein«.
Robin und Helen wanderten wortlos durch das abendliche Treiben. Vor wenigen Stunden erst hatte der Erzbischof die Probeehe zwischen ihnen geschlossen und Robins Ring mit dem blutroten Rubin als Pfand bis zur Rückkehr der beiden in Verwahrung genommen. Doch weder Robin noch Helen fühlten sich so glücklich, wie man es im Allgemeinen von Frischvermählten erwarten konnte. Die Kränkungen, die sie sich gegenseitig zugefügt hatten, waren noch zu frisch. Sie liefen fremd nebeneinander her, ohne sich zu berühren. Nur manchmal streiften sie sich mit verstohlenen Seitenblicken, und ab und zu seufzte Helen leise. Das Schweigen zwischen ihnen wurde immer unerträglicher. Dick und drohend wie Gewitterwolken standen die vielen unausgesprochenen Worte, die erfahrenen Demütigungen und die Schuld zwischen ihnen. Helen glaubte, beinahe daran zu ersticken. Sie hatte alles versucht, um Robins Vertrauen zurückzugewinnen, doch es schien vergeblich. Mit verschlossener Miene und energischen Schritten lief der Geliebte neben ihr her, als hätte er ihre Anwesenheit bereits vergessen. Tränen stiegen in Helens Augen, ein verzweifeltes Schluchzen löste sich aus ihrer Brust.
»Robin, so warte doch. Lauf nicht so schnell«, schluchzte sie. Robin blieb stehen und sah sich nach Helen um. Er sah die Tränen, die wie Perlen über ihre Wangen rollten. Langsam ging er auf sie zu und nahm sie behutsam in die Arme. Er roch den vertrauten Duft ihres Haares, und Sehnsucht durchflutete heiß sein wundes Herz.
»Ich ertrage deine Kälte nicht, Robin«, flüsterte Helen und benetzte Robins Wams mit ihren Tränen. Er strich zögernd und behutsam über ihr Haar. Als sie seine zaghafte Berührung spürte, hob sie den Kopf undsah Robin mit ihren veilchenblauen Augen an, in denen die Tränen silbern glitzerten. Und Robin las in ihren Augen die gleiche Sehnsucht, die auch in seiner Seele brannte. Er beugte sich zu ihr hinunter und küsste ihr zärtlich die Tränen von den Wangen. »Es wird alles wieder gut«, flüsterte er leise und war plötzlich von tiefer Zuversicht erfüllt. Sie würden es schaffen. Sie würden Warthorpe finden und ihn seiner gerechten Strafe zuführen. Und vielleicht würde er auch eines Tages über die Enttäuschung und den bitteren Verrat Helens hinwegkommen.
»Lass mir Zeit«, flüsterte er. »Lass mir Zeit, dann wird alles wieder gut.«
Schließlich lösten sie sich voneinander und wanderten Hand in Hand durch die Straßen.
Es war noch keine Stunde seit Sir Matthew Warthorpes überstürztem Aufbruch aus dem ›Heiligen Hirten‹ vergangen, als Robin und Helen das Gasthaus betraten. Auch Robin hatte von der Bedeutung der Schankstube als Nachrichtenbörse und Treffpunkt aller Reisenden gehört. Er hoffte, dort jemanden zu finden, der Helen und ihn ein Stück in Richtung Warthorpe Manor mitnehmen konnte. Das wenige Geld, welches die beiden in ihren Börsen trugen, reichte nicht aus, um davon Pferde kaufen zu können. Außerdem war die Reise in Begleitung eines größeren Trosses weitaus sicherer. Robin wusste, dass die Häscher der Häuser Lancaster und York, die zum Kampf rüsteten, auf der Suche nach jungen Männern waren, die sie, nötigenfalls mit Gewalt, als Söldner dingen konnten. Cliffordshire, die Grafschaft, in der Bloomfield und Waterhouse lagen, fühlte sich dem Haus mit der weißen Rose im Banner verbunden, doch Robin waren die Streitigkeiten um den Thron im Augenblick herzlich gleichgültig. Er wollte Warthorpe finden, sollte doch König werden, wer immer wollte. Zwar konnte Richard von York, der mit dem Earl ofClifford weitläufig verwandt war, einen Outlaw ohne Rechte und Besitz jederzeit zu den Waffen zwingen, doch dazu mussten seine Häscher ihn erst einmal
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