Hexenblut
»Hölle.« Sie steckte den Finger in ihren kochend heißen Tee und verzog dabei keine Miene.
»Feuer überall.«
»Schwarzes Feuer?«, fragte Nicole. »Hat Michael Deveraux dich dorthin geschickt, ehe er selbst gestorben ist?«
»Weißes Feuer. Schlimmer«, erklärte Kari. »Schlimmer.« Sie hielt den Finger weiterhin in den Tee getaucht. Richard fürchtete schon beinahe, sie würde sich das Fleisch von den Knochen brühen. »Brennt immerzu. Leiden. Erinnern. Qual. Reue.«
»Sie war wirklich in der Hölle«, hauchte Nicole.
Amanda begann zu weinen. Nicole zitterte so sehr, dass sie ihre Tasse abstellen musste. Tommy starrte nur weiterhin stumm die beiden Katzen an, aber Richard vermutete, dass er sie gar nicht richtig sah.
»Wir müssten doch irgendetwas finden können, irgendeinen Zauber, womit wir dir helfen können«, sagte Amanda schließlich.
»Zauber Hecate geholt«, entgegnete Kari.
»Wessen Zauber?«, fragte Richard leise.
»Michael Deveraux«, antwortete Kari.
Richard ballte die Hände zu Fäusten. Sogar tot war der Mann noch ein Stachel in seinem Fleisch, die Schlange im Rohen Gras.
Säure brannte in Amandas Magen, während sie Kari beobachtete und über die Hölle sprechen hörte. Wie konnte es einen so grauenhaften Ort geben? Weshalb sollte die Göttin zulassen, dass Kari so sehr litt? Und da sie, Amanda, jetzt davon wusste, wie konnte sie Owen dorthin schicken?
Aber er ist noch ein Baby. Wie könnte ein Baby in die Hölle kommen?
Die Tränen, die ihr über die Wangen liefen, galten dem unschuldigen Baby, das über ihnen schlief, und nicht der jämmerlichen Kari. Wenn Amanda irgendetwas für Kari tun konnte, würde sie es tun, aber sie hatte das Gefühl, dass es für Kari keine Hoffnung, keine Rettung mehr gab. Das konnte aber doch nicht auf Owen zutreffen, oder?
Göttin, was soll ich nur tun?, betete sie und umklammerte Nicoles Hand. Tommy ergriff ihre andere Hand und drückte sie leicht. Er wusste noch gar nichts.
Wo ist Holly? Sie würde durch ihre eigenen Gefühle zu ihrem Ziel durchdringen wie ein Laserstrahl. Sie ist viel besser darin, schwere Entscheidungen zu treffen.
Doch dann fiel Amandas Blick auf Hecate, und sie erschauerte. Holly war vielleicht gut darin, schwere Entscheidungen zu treffen, doch das bedeutete nicht, dass sie sich immer für das Richtige entschied.
In diesem Moment wollte Amanda den anderen enthüllen, was in letzter Zeit mit ihr geschah, gleich jetzt, auf der Stelle. Diese Menschen, die sie liebten, verdienten es vor allen anderen -
- zu wissen -
Woran habe ich gerade gedacht?, fragte sie sich erschrocken. Sie konnte sich nicht an die letzten paar Minuten erinnern. Stirnrunzelnd dachte sie zurück und versuchte, die Unterhaltung am Tisch nachzuvollziehen...
Es war, als habe sich ein Schleier darüber gesenkt...
»Amanda?«, fragte ihr Vater.
Sie fuhr leicht zusammen. »Entschuldigung«, sagte sie. »Was ist?«
Sie hatte so ein sonderbares Gefühl...
»So oder so, das alles muss aufhören«, erklärte Tommy. »Wir können so nicht weiterleben.« Er warf Kari einen Blick zu. Oder weiter sterben.
Außerhalb von Mumbai:
Holly, Alex, Pablo, Armand und der Tempel der Luft
Holly schreckte aus dem Schlaf.
Sie setzte sich auf und blickte sich in der Höhle nach den anderen um. Alex und Armand waren weg. Pablo saß ebenfalls aufrecht, den Kopf zur Seite geneigt, als lausche er auf etwas.
Holly bemühte sich, ebenfalls ihren Geist zu öffnen, um zu sehen und zu fühlen, was ihr verborgen war. Sie schob und drückte gegen die Grenzen ihres Bewusstseins, erreichte aber nichts.
Du musst deinen Geist leer machen, ehe du mehr sehen und hören kannst, als deine Augen und Ohren wahrnehmen, erklärte Pablo in ihrem Kopf.
Er kommunizierte jetzt immer öfter auf diese Weise. Holly wusste, warum - er traute Alex nicht ganz.
Ist schon gut. Ich auch nicht, sagte sie.
Sie versuchte, Pablos Anweisung zu folgen, alle Gedanken, Ängste und Träume einfach loszulassen. Sie holte tief Luft, stieß sie wieder aus und stellte sich vor, wie all diese Dinge mit ihrem Atem aus ihr herausströmten. Das tat sie noch zwei Mal, bis sie... nichts mehr fühlte.
Und dann hörte sie ... alles.
Der Lärm und die Stimmen, die plötzlich in ihren Kopf platzten, lähmten sie zuerst, denn einen schrecklichen Moment lang fürchtete sie, wieder besessen zu sein. Vor Angst bekam sie keine Luft mehr. Dann drang Pablos Stimme durch ihre Ohren, von außerhalb ihres Kopfes, durch das Geschwätz
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