Hintergangen
den Flug am Freitagabend. Er hat mich also hierhergebracht und ist dann zum Flughafen gefahren.«
Imogen hielt den heißen Henkelbecher umklammert, als würde der ihr die Kraft geben weiterzusprechen. Stella stellte einen Teller mit Toast auf den Tisch und setzte sich hin, um schweigend zuzuhören.
»Hugo hatte ein festliches Dinner bestellt, elegante Abendkleidung war Pflicht. Sein Freund Sebastian war charmant, wenn auch für meinen Geschmack etwas zu anbiedernd. Na, jedenfalls hat Hugo uns alle unablässig mit Drinks versorgt, und es wurde ein überraschend angenehmer Abend.
Nachdem Hugo die Caterer weggeschickt hatte, hat er den guten Brandy herausgeholt. Ich habe zwar gesagt, ich wolle keinen, und Laura auch nicht, doch Hugo hat darauf bestanden. Inzwischen war es recht spät geworden – weit nach Mitternacht, denn wir hatten erst gegen halb zehn mit dem Abendessen angefangen, und Laura und ich waren leicht beschwipst, aber keinesfalls betrunken. Hugo hat unsere Drinks selbst gemixt, große Portionen. Offenbar haben Laura und ich das Gleiche gedacht: besser austrinken als Seiner Lordschaft missfallen.«
Imogen schob die Kaffeetasse von sich und stützte den Kopf in die Hände. Während sie sprach, schaute sie Stella nicht an, sondern starrte bloß auf den Tisch hinunter. Stella spürte Panik in sich aufsteigen. Sie wusste, dass es schlimmer kommen würde, als sie es sich vorgestellt hatte, und wünschte nun, sie hätte die komplizierte Geschichte nie zur Sprache gebracht. Als Imogen anfing zu schluchzen, konnte sie ihre Worte kaum ausmachen.
»Und das ist das Letzte, an das ich mich erinnere, bis zum nächsten Morgen. Als ich aufgewacht bin, habe ich im Cottage im Bett gelegen – aber nicht allein. Sebastian lag auf der Bettdecke. Er war nackt … und ich auch.«
Sie hob ihr verzweifeltes Gesicht und sah die bestürzte Stella an.
»Ach Gott, Stella – du musst mir glauben, es war der schlimmste Augenblick meines Lebens. Ich bin von dem Knallen der Haustür wach geworden und habe Schritte im Flur gehört. Als ich zur Schlafzimmertür gesehen habe, hat Will dort gestanden, mit hängenden Armen. Den Ausdruck in seinem Gesicht vergesse ich nie, Stella. Mit Wut hätte ich gerechnet, doch dieser Ausdruck von Verzweiflung – es hat mir das Herz gebrochen. Ich bin quer über das Bett zu ihm hinübergekrochen, zum Aufstehen war ich zu schwach. Aber er hat sich einfach umgedreht und ist weggegangen.«
Imogen legte den Kopf auf die verschränkten Arme und schluchzte leise. Stella war entsetzt, es brach ihr fast das Herz bei dem Gedanken, was es für ihren Sohn bedeutet haben mochte, der so verliebt war in seine Frau. Sie erinnerte sich an den überwältigenden Schmerz, den sie verspürt hatte, als Davids Untreue zum ersten Mal ans Licht gekommen war – das war alles plötzlich wieder da, und sie fühlte ihren Sohn leiden, als wäre sie es selbst. Warum hatte er ihr nie etwas gesagt? Doch sie kannte die Antwort. Aus Scham. Ihr armer Junge. In diesem Moment empfand sie nur Abscheu für Imogen.
»Willst du mir damit etwa sagen, du hättest dich so exzessiv betrunken, dass du diesen Mann – einen Fremden – in dein Bett gelassen hast? Wie konntest du nur, Imogen? Wie konntest du?«
»Nein, nein! Stella, du musst mir glauben. Das habe ich nicht. Erst hatte ich das gedacht, doch ich bin mir sicher, nicht eine Minute richtig betrunken gewesen zu sein. Erst sind Laura und ich bloß ein bisschen albern gewesen, und im nächsten Moment – wusch! –, weiß ich von gar nichts mehr. Ich habe Laura darauf angesprochen, und sie hat gesagt, bei ihr sei es genauso gewesen und Hugo habe sie ins Bett gebracht. Sie hat gesagt, sie habe sich für uns beide geschämt.«
Imogen stand auf und holte ein Stück Küchenkrepp, um sich Augen und Nase abzuwischen. Das Schluchzen hatte aufgehört, doch Tränen strömten ihr übers Gesicht. Stella war immer noch skeptisch und hatte Mühe, ihren Ärger im Zaum zu halten.
»Was hat Will denn dort gewollt, Imogen? Du hattest doch offensichtlich erst am nächsten Tag mit ihm gerechnet. Sonst hättest du dich vielleicht etwas besser benommen und meinen Sohn nicht so maßlos erschüttert.«
»Glaubst du denn, das habe ich gewollt? Will hat gesagt, er sei am Freitag nach Dublin geflogen, aber als er dort angekommen sei, habe eine Nachricht auf ihn gewartet, dass die Besprechung abgesagt und er auf den Rückflug für den frühen Morgen gebucht sei. Er hatte kein Gepäck, war
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