HISTORICAL BAND 295
Angelsachsen seinen Tod wollten? Sie würden keine bessere Gelegenheit dazu bekommen als diese. Ihr schlechtes Gewissen machte ihr zu schaffen, da sie Wulfrum nicht warnen konnte, ohne ihm gleichzeitig zu gestehen, dass sie ihm etwas verschwiegen hatte. Während ihre Angst um ihn größer und größer wurde, hatte sie ein ums andere Mal versucht, den nötigen Mut aufzubringen, ihm zu sagen, was sie wusste. Doch die Furcht vor seinem Zorn war jedes Mal übermächtig gewesen. Nur zu gut konnte sie sich den Schmerz in seinen Augen vorstellen, wenn er die Wahrheit erfuhr. Wie sollte sie es ertragen, dass aus seiner Liebe zu ihr Misstrauen und Hass wurde? Aber wie sollte sie andererseits weiter schweigen, wenn sie sein Leben in Gefahr wusste? Sie musste es jetzt sagen, musste ihn warnen, bevor es zu spät war. Doch sie fand nicht die richtigen Worte, um zu erklären, was sie getan hatte.
Wulfrum, der nichts von dem Kampf ahnte, der in ihrem Inneren tobte, war inzwischen reisefertig und stellte sich vor sie, um sie in seine Arme zu schließen.
„Pass gut auf dich auf, Elgiva, und auf meinen Sohn.“
„Darauf kannst du dich verlassen.“
„Das tue ich.“ Er hielt kurz inne. „Kann ich dir etwas aus York mitbringen?“
„Nur dich selbst, und zwar wohlbehalten.“
Sie küssten sich, Elgiva schmiegte sich an ihn. Dann legte er sich das Schwert um und schob das Messer unter den Gürtel. Die schmalere zweite Klinge ließ er in seinem Ärmel verschwinden.
„Es kann nie schaden, auf alles gefasst zu sein“, meinte er ein wenig amüsiert, als er ihren Blick bemerkte.
Elgiva atmete tief ein, ihr Herz pochte wild. „Wulfrum, ich muss dir etwas sagen …“
Lächelnd schaute er ihr ins Gesicht. „Was denn?“ Dann bemerkte er den gequälten Ausdruck in ihren Augen, und sofort wurde er ernst. „Meine Liebe, was ist los?“
„Sei auf deiner Reise wachsam. Ich glaube, Aylwin plant, dich zu töten.“
Einen Moment lang herrschte solche Stille im Gemach, dass Elgiva nur hörte, wie das Blut in ihren Ohren rauschte. Die ganze Zeit über sah Wulfrum sie forschend an. „Wie kannst du das wissen?“
„Weil er … weil er es mir mehr oder weniger so gesagt hat.“
Er kniff die Augen zusammen. „Wie kann er dir so etwas gesagt haben?“
„Nachdem er aus Ravenswood geflohen war, hat er sich in den Wäldern versteckt, aber …“, sie benetzte ihre trockenen Lippen, „… aber er ist zurückgekehrt.“
„Zurückgekehrt? Wann?“
„Nach seiner Flucht. Zweimal. Das letzte Mal, als Halfdans Männer hier waren.“ Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: „Er sprach davon, die Rebellen zu einer großen Streitmacht zu einen und sich zurückzuholen, was ihm gehört.“
„Davon sprach er also?“ Wulfrum war ganz ruhig, seine Miene war wie versteinert, während er das ganze Ausmaß ihrer Worte zu erfassen begann. „Und all die Monate hast du hinter meinem Rücken gemeinsame Sache mit ihm gemacht?“
„Nein, ich habe auf ihn eingeredet, er soll fliehen und weiteres Blutvergießen verhindern. Ich musste das tun, ich hatte keine andere Wahl.“
„Du hattest keine andere Wahl?“ Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich noch mehr.
„Ich war es ihm schuldig, Wulfrum.“
„Und was warst du mir schuldig, deinem Ehemann?“
„Ich wollte, dass er jeden Gedanken auf Vergeltung aufgibt. Es war nie meine Absicht, dir wehzutun.“
„Tatsächlich? Du wusstest, er wollte sich an mir rächen, und trotzdem hast du bis jetzt gewartet, es mir zu sagen.“
Tränen standen ihr in den Augen. „Verzeih mir. Ich habe es dir nicht früher gesagt, weil ich es nicht konnte.“
„Weil du es nicht konntest oder weil du es nicht wolltest?“
„Sowohl als auch.“ Sie schluckte angestrengt. „Da ist noch etwas.“
Wulfrum sagte nichts, sondern wartete nur ab, dass sie weiterredete.
„Ich habe ihn gewarnt, dass du die Rebellengruppen aufspüren und zerschlagen wolltest. Deshalb haben deine Männer niemanden finden können.“ Sie schloss die Augen, da sie damit rechnete, dass Wulfrum jeden Moment vor Wut explodieren würde. Die unnatürliche Ruhe, die er stattdessen weiterhin an den Tag legte, war allerdings nicht weniger beängstigend.
„Warum hast du dich entschieden, es mir jetzt zu sagen, Elgiva?“
„Weil ich nicht will, dass es noch länger irgendwelche Geheimnisse zwischen uns gibt.“
„Und ich soll dir von nun an bedenkenlos vertrauen?“ Sein frostiger Tonfall war schlimmer als alles, was sie erwartet
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