HISTORICAL EXCLUSIV Band 17
einen geliebten Menschen verloren haben. Ich bin nicht allein“, antwortete sie. Dann spürte sie seinen Atem an ihrem Hals, als er sich vorbeugte, um ihr mit dem durchdringenden Blick in die Augen zu sehen, welcher ihr Herz in Aufruhr versetzte. Das ist doch albern, schalt sie sich. Wir sind eigentlich Fremde. Wie kann er diese Wirkung auf mich haben? Noch kein Mann hatte sie so beeindruckt. Wahrscheinlich dämpften die sentimentalen Augenblicke, welche sie zusammen erlebt hatten, ihr Urteilsvermögen. Rafe Amberville war Soldat und ging schon bald zurück in den Krieg. Und niemand wusste, ob er heil wiederkommen würde. Nein, sie wollte kein weiteres Herzeleid.
Shanna wusste, dass sie hätte aufstehen sollen, als er ihre Hand in seine nahm und langsam die langen, schlanken Finger betrachtete. Die Berührung war unpersönlich, nicht jedoch der Blick der blauen Augen. Das plötzliche Aufleuchten hätte sie warnen müssen, aber sie war wie hypnotisiert. Willenlos ließ sie sich an seine Brust ziehen. Dann beugte er sich über sie, sodass sein sonnengebräuntes Gesicht ganz nah war.
„Gestern Nacht waren Sie zu einem müden Krieger sehr freundlich, kleine Shanna. Ich habe es Ihnen schlecht gedankt“, sagte er leise.
„Ich … ich – das hätte ich für jeden in der gleichen Situation getan“, erklärte sie verwirrt.
„Aber Sie haben diese Freundlichkeit mir erwiesen. Daher finde ich es nur recht und billig, wenn ich Ihnen dafür danke. Gestern Nacht war ich nicht in der Stimmung dazu. Verzeihen Sie mir bitte.“
„Ich dachte, wir hätten diese Angelegenheit abgeschlossen. Es gibt nichts zu verzeihen. Sie waren müde und wurden nicht so willkommen geheißen, wie Sie es erwartet hatten“, stieß Shanna hervor.
„Willkommen geheißen!“, rief Rafe. „Weder Vater noch Bruder heißen mich willkommen. Vielleicht freuen sich Abraham und Hannah. Ja, die beiden bestimmt. Und auch Leon und sein jüngerer Bruder. Wir vier haben gemeinsam viel durchgemacht. Aber sonst freut sich niemand, mich wiederzusehen.“
Das klang, als sei er ganz allein auf der Welt. Dabei hatte er eine Familie, sie nicht! Ganz gleich, wie verfahren die Situation war, in ihren Adern floss das gleiche Blut. Es war unglaublich, dass er sich von ihnen abkehren konnte, als würden sie nicht existieren. Aber hatten sie mit ihm nicht das Gleiche gemacht? Würde es ihm wehtun, wenn er Vater oder Bruder verlor? Wenn er der Kugel eines Yankees zum Opfer fiel – Gott möge verhüten, dass dies geschah –, würde sein Vater doch um ihn trauern, oder etwa nicht?
Was war los mit ihr? Rafe Amberville bedeutete ihr doch gar nichts! Er kam näher. Sein Atem auf ihrer Wange war wie eine warme Brise. Dann löste er die Kämme, mit denen Tante Lea ihr Haar so kunstvoll aufgesteckt hatte. Ehe sie es verhindern konnte, fielen die dunklen Locken über die Schultern. Rafe wickelte eine Locke um den Finger und zog sie damit langsam näher heran, sodass ihre Lippen sich beinahe berührten.
Er will mich küssen!, dachte Shanna in Panik. Das durfte sie auf keinen Fall zulassen.
„Wir sollten jetzt zurück zum Haus reiten“, schlug sie vor und wollte zurückweichen. Doch das war unmöglich.
„Was, ehe ich Ihnen meine Dankbarkeit gezeigt habe?“, scherzte Rafe.
Shanna war schon früher geküsst worden, aber sie war überhaupt nicht auf das Feuer vorbereitet, das durch sie hindurchströmte, als sein Mund ihre Lippen berührte. Er war nicht so dominierend wie in der vergangenen Nacht, sondern behutsam, jede Sekunde auskostend. Bei diesem langen Kuss zeigte sich, dass Rafe Erfahrung besaß, eine Frau zu betören, denn Shannas Sinne riefen nach mehr. Sie wusste, dass es unmöglich war, trotzdem hatte sie das Gefühl, dass die Erde unter ihr bebte.
Nur einen Augenblick spürte Rafe ihren Widerstand, dann sank sie in stummer Hingabe an seine Brust. Er legte sie auf die Erde. Der Zauber des Augenblicks – oder war es Wahnsinn? – raubte ihm fast die Sinne. Der Duft der Haarflut, die seine Wange umwehte, der schwache Hauch von Orangenblüte ihres Parfüms, das wilde Pochen ihres Herzens unter dem dünnen Stoff der Bluse, der Druck der festen Brüste gegen ihn – alles das erinnerte ihn daran, wie lange es her war, seit er eine Frau in den Armen gehalten und geliebt hatte.
Doch ernüchterte ihn dieser Gedanke mit einem Schlag, sodass er zurückwich. Shanna war nicht wie die anderen Frauen, mit denen er im Lauf der Jahre Beziehungen eingegangen war. Das hatte
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