Hochzeit in Hardingsholm
liebte? Würde sie bei ihm bleiben, wenn er ihr gestand, dass er nicht ganz so reich war, wie sie glaubte? Wie er sie glauben ließ?
Nachdenklich blickte er aus dem Fenster. Der Regen ließ jetzt nach, immer weniger dicke Tropfen klatschten auf die Scheibe, und das heftige Trommeln auf das Autodach war einem leisen Klappern gewichen.
Er wartete noch ein paar Minuten, bevor er die Tür seines Wagens öffnete. Feuchte, warme Luft schlug ihm entgegen. Der Regen hatte aufgehört, aber es tropfte noch aus dem Laub der Bäume ringsum.
Er lauschte in die Dunkelheit und hob schwerfällig die Beine aus dem Wagen. Er hasste sich selbst für das, was er gleich tun würde, aber er musste es hinter sich bringen. Welche Wahl hatte er?
»Es ist das letzte Mal«, murmelte er vor sich hin, als er den Kanister aus dem Kofferraum nahm. »Ich mache es nie wieder.« Er schloss leise den Kofferraumdeckel und schlich durch die feuchte Nacht davon.
– 24 –
W as für ein seltsamer Abend!
Erik verspürte das dringende Bedürfnis, Linn vor dem Zubettgehen noch einmal zu sehen. Er betrat auf leisen Sohlen ihr Schlafzimmer und mühte sich, die Gedanken, die durch seinen Kopf kreisten, zu verdrängen. Warum war er hier? Wollte er sich überzeugen, dass es richtig war, sie morgen zu heiraten? Hegte er etwa Zweifel?
Die Luft, die durch das geöffnete Fenster in den Raum strömte, war warm und feucht, aber es regnete nicht mehr. Als er an Linns Bett trat, stützte er sich mit beiden Händen auf die hölzerne Strebe am Fußteil, als brauche er Halt. Plötzlich rissen draußen die Wolken auf, und der helle Mond schien ins Zimmer, genau auf ihr Gesicht.
Wie schön sie ist, dachte er, wie anmutig. Da verzerrte sich Linns Gesicht. Träumte sie schwer? Oder quälte sie etwas bis in den Schlaf hinein?
Erik wurde plötzlich bewusst, wie wenig er eigentlich von Linn wusste, obwohl er sie schon fast sein ganzes Leben lang kannte. In Kindertagen waren sie unzertrennlich gewesen, das vierblättrige Kleeblatt: Lars, Kalle, Linn und er selbst. Sie hatten zusammen gespielt, gemeinsam die Schule besucht, und es hatte ihren Zusammenhalt nie gestört, dass Linn und Lars die Klasse unter ihnen besuchten, weil sie beide ein Jahr jünger waren als Erik und Kalle.
Paul Warborg hatte immer wieder versucht, in diese Gemeinschaft einzubrechen, Teil von ihr zu sein, sich durch seine Angeberei und seine Intrigen aber nie Zugang verschaffen können. Enge Freunde waren sie nie geworden. Sie waren gute Geschäftspartner, und das war auch der Grund, weshalb Erik ihn zum Polterabend und auch zur Hochzeit eingeladen hatte.
Damals hatte es niemanden so recht gewundert, dass aus Linn und Lars ein Paar wurde. Im Gegenteil, Erik hatte sich sehr für seinen Bruder gefreut, denn irgendwie schienen die beiden füreinander bestimmt zu sein.
Erik seufzte. Alles war so klar, so einfach gewesen, bis zu diesem schrecklichen Unfall.
Als Lars verschwand, am Tag vor der Beerdigung, war er selbst in seinem Schmerz so gefangen gewesen, dass er das Ausmaß nicht hatte einordnen können. Als Lars nicht wieder auftauchte, hatte Linn sich an ihn geklammert, hatte in ihrer Einsamkeit Trost gesucht und ihm zugleich Trost gegeben. Und er hatte es zugelassen, er, der sonst immer stark gewesen war, war dankbar gewesen für ihre Worte, für ihre Nähe und für ihr Vertrauen.
Ja, und dann war es irgendwann passiert!
Aber was war eigentlich passiert?
Zu welchem Zeitpunkt waren sie nicht mehr nur Freunde gewesen, sondern ein Paar geworden?
War es dieser feuchtfröhliche Abend bei Kalle gewesen? Zwei Jahre nach dem Tod seiner Eltern und Lars’ Verschwinden hatte er zum ersten Mal gemeinsam mit Linn eine Party besucht, hatte sich auf die Fröhlichkeit der anderen eingelassen, hatte sich wieder erlaubt, Freude zu empfinden, zu lachen, Spaß zu haben.
Auf dem Rückweg hatten Linn und er sich geküsst – und seither sahen sie sich selbst als Paar, galten sie als Paar. Aber waren sie das wirklich? Erik schluckte. Nachdenklich betrachtete er Linns Gesicht im Mondschein. Sie kannten sich ein Leben lang, waren ihr Leben lang gute Freunde gewesen, hatten viele schwere Momente gemeinsam überstanden.
Und doch wusste er nicht einmal, was das plötzliche Auftauchen seines Bruders bei ihr ausgelöst hatte.
Er hätte sie fragen können, aber wollte er die Antwort auch hören? Wollte er wirklich wissen, was sie empfunden hatte, als Lars ihr gegenüberstand? Was wäre, wenn sie festgestellt hatte, dass
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