Hochzeitsglocken zum Fest der Liebe
erkannte sie Hal Beverley, der bei ihrem Anblick grüßend die Peitsche hob, jedoch, ohne die Pferde anzuhalten, sein Gefährt stadtauswärts lenkte.
Mit einem Anflug von Bedauern registrierte sie, dass er Bath verließ. Ganz kurz fragte sie sich, ob sie ihn gestern beleidigt hatte, als sie ihn praktisch der Feigheit bezichtigte – ein ungerechtes Urteil, wie sie schon längst eingesehen hatte, denn schließlich war es nur natürlich, dass er sich um die Gesundheit seines Vaters sorgte. Und dann hatte er sie geküsst, und der Kuss schien so viel mehr zu sagen als bloße Worte – doch sie würde nicht so töricht sein, dem viel Bedeutung beizumessen. Für einen Mann wie ihn war ein Kuss eben nur ein Kuss.
Sie verscheuchte die Gedanken, als sie vor Ellens Tür stand und die Klingel zog.
Ellen öffnete und rief sofort: „Oh, Jo, danke, dass du so früh kommst. Ich habe mich angestrengt, diese Arbeit heute fertigzubekommen, und will sie gleich abliefern und um mein Geld bitten.“
Jo fand, dass Ellen blass war, auch hatte sie Ringe unter den Augen. „Ellen, geht es dir nicht gut?“
„Ach, es ist nichts …“ Sie seufzte, dann lächelte sie gequält. „Nein, ich will ehrlich sein. Mir war wieder einmal unwohl, außerdem bin ich sehr unruhig. Ich habe Angst, Jo, denn ich werde beobachtet. Vor dem Haus lauert ein Mann und folgt mir, wenn ich ausgehe. Ich denke, mein Vater steckt dahinter.“
„Ist er jetzt auch da?“ Jo ging zum Fenster und spähte hinaus. „Nein, ich sehe niemanden; aber du musst dich in Acht nehmen, Ellen. Hal wird bald nach Bath zurückkehren, und dann bringt er dich von hier fort; das soll ich dir ausrichten, und auch, dass er eine Unterkunft für dich weiß.“
„Oh, das ist gut. Mir widerstrebt es, von ihm abhängig zu sein, aber ich wäre so froh, wenn ich Bath den Rücken kehren könnte. Du wirst mir fehlen, Jo.“ Bedrückt fügte sie hinzu: „Ich habe Angst. Manchmal denke ich, dass ich bei der Geburt sterben werde.“
„Nein, das darfst du nicht denken!“ Jo zögerte, denn im kalten Licht des neuen Tages war ihr klar geworden, welches Risiko sie einginge, wenn sie ihre Idee in die Tat umsetzte. Doch als sie Ellens bekümmerte Miene sah, konnte sie nicht anders. „Ellen“, sagte sie impulsiv, „und wenn ich dich begleitete, als deine Gesellschafterin? Wenigstens, bis das Kind geboren ist?“
„Jo – würdest du das wagen?“ Ellen sah sie an, Hoffnung flackerte in ihren Augen auf.
„Ja, wenn du möchtest, werde ich mit dir kommen“, sagte Jo entschlossen. In diesen wenigen Tagen war Ellen ihr sehr ans Herz gewachsen, weshalb sie das Risiko, ins Gerede zu geraten, gern auf sich nahm, abgesehen davon, dass sie sowieso nicht damit rechnete, je zu heiraten. „Nur müssen wir auf Hals Rückkehr warten, ehe wir Pläne machen können.“
Den Weg zurück lief Jo beinahe, da sie fürchtete, ihre Tante könnte schon aufgestanden sein und ihre Abwesenheit bemerkt haben, doch zum Glück konnte sie sich zum Frühstück niedersetzen, ehe die strenge Dame erschien.
„Josephine, du denkst sicher daran, dass wir am Mittwoch heimreisen. Meine Bücher aus der Leihbibliothek müssen noch zurückgegeben werden, und beim Apotheker liegt noch ein Medikament für mich. Sei so gut und erledige das, ehe du am Nachmittag bei diesem Basar hilfst.“ In nörglerischem Ton fuhr sie fort: „Eigentlich hegte ich die Hoffnung, du hättest zu diesem Zeitpunkt einen ernstlichen Interessenten gefunden. Nun, du hattest kein Glück, im Augenblick halten sich in Bath leider zu viele sehr hübsche Mädchen auf. Möglicherweise wird Mr. Browne sich noch erklären, denn er sagte, dass er dich sehr bewundert – und das lässt ja hoffen.“
„Ja, Tante“, entgegnete Jo, entschlossen, sich nicht näher dazu zu äußern. „Es tut mir leid, dass ich dich enttäusche.“
„Es hätte anders sein können …“, Lady Wainwright seufzte, „… aber nun ja. Mrs. Marsham erwartet, dass in Kürze um Chloes Hand angehalten wird, doch das ist natürlich nicht vergleichbar.“
„Ja, Chloe ist schön“, sagte Jo. Ohne ein weiteres Wort verabschiedete sie sich und widmete sich ihren Aufgaben. Sie würde die taktlosen Worte ihrer Tante nur noch drei Tage zu ertragen haben, ehe sie sich reinen Gewissens davonmachen konnte. Welch ein Abenteuer das werden würde! Und sie war ganz sicher, dass ihre liebste Mama Verständnis haben würde.
Auf dem Heimweg beschlich Jo das merkwürdige Gefühl, verfolgt zu werden,
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