Höhenangst
diskutieren, oder …«
»Oder einem Psychiater?« unterbrach ich sie wütend, riß mich aber sofort am Riemen. Es war nicht fair, ihr Vorwürfe zu machen, weil sie Zweifel anmeldete.
Inzwischen mißtraute ich mir ja sogar selbst. »Sie sind nicht wirklich eine Freundin, ich weiß, aber ich kann über diese Sache nicht mit einer Freundin oder jemandem aus meiner Familie reden. Und es ist Ihr gutes Recht, mir gegenüber mißtrauisch zu sein. Ich wende mich an Sie, weil Sie Dinge wissen, die andere Leute nicht wissen.«
»Ist das das Band, das uns verbindet?« fragte Joanna fast höhnisch. Als sie weitersprach, wirkte ihr Lächeln schon wieder etwas freundlicher. »Macht nichts. Irgendwie schmeichelt es mir ja, daß Sie mit mir reden wollen. Also, worum geht’s?«
Ich holte tief Luft und berichtete ihr dann mit leiser Stimme, was in den vergangenen Tagen und Wochen passiert war: von den Details, die ich mit Adam über unsere jeweilige sexuelle Geschichte ausgetauscht hatte, von den Briefen der unbekannten Adele, die ich gefunden hatte, vom Tod ihrer Schwester, von meinem Besuch bei ihrer Mutter. Als ich an diesem Punkt angelangt war, zog Joanna die Augenbrauen hoch und schüttelte den Kopf, sagte aber nichts. Es war ein ausgesprochen seltsames Gefühl, all diese Dinge in Worte zu fassen, und ich ertappte mich dabei, wie ich mir selbst beim Reden zuhörte, als würde ich der Geschichte einer fremden Frau lauschen. Mir wurde bewußt, was für ein nach außen abgeschlossenes Leben ich in letzter Zeit geführt hatte –
ohne einen anderen Menschen, dem ich anvertrauen konnte, was mich bewegte. Ich versuchte, das Ganze wie eine Geschichte zu erzählen, in chronologischer Reihenfolge und möglichst klar. Als ich fertig war, zeigte ich Joanna den Zeitungsausschnitt, in dem von Adeles Verschwinden berichtet wurde. Sie las ihn mit einem konzentrierten Stirnrunzeln und gab ihn mir dann zurück.
»Nun?« fragte ich. »Bin ich verrückt?«
Sie zündete sich eine weitere Zigarette an.
»Tja«, sagte sie, und ich konnte am Klang ihrer Stimme hören, wie unbehaglich sie sich fühlte. »Wenn das zwischen Ihnen derart schiefläuft, warum verlassen Sie den Typen dann nicht einfach?«
»Adele hat Adam verlassen. Ich habe den Brief gelesen, in dem sie mit ihm Schluß gemacht hat. Sie hat ihn am vierzehnten Januar 1990 geschrieben.«
Joanna wirkte ehrlich überrascht. Ihr war anzusehen, daß es sie Mühe kostete, ihre Gedanken zu sammeln und etwas zu sagen.
»Habe ich Sie da eben richtig verstanden?« fragte sie schließlich. »Nur damit klar ist, worüber wir hier reden: Sie behaupten, daß Adam – Ihr Mann – diese Adele, nachdem sie mit ihm Schluß gemacht hatte, umgebracht und sich ihrer Leiche auf so geniale Weise entledigt hat, daß sie nie gefunden wurde?«
»Irgend jemand muß sich ihrer entledigt haben.«
»Vielleicht hat sie Selbstmord begangen. Oder sie ist einfach auf und davon und hat sich nie wieder zu Hause gemeldet.«
»Menschen verschwinden nicht einfach so.«
»Oh, glauben Sie? Wissen Sie, wie viele Leute in Großbritannien zur Zeit als vermißt gemeldet sind?«
»Nein, natürlich nicht.«
»So viele, wie in Bristol oder Stockport oder einer anderen mittelgroßen Stadt leben. Irgendwo in Großbritannien muß es eine geheime Geisterstadt geben, die nur von diesen verschwundenen und vermißten Leuten bevölkert ist. Es kommt also durchaus vor, daß Menschen einfach verschwinden.«
»Adeles letzter Brief an Adam klang aber überhaupt nicht verzweifelt. Sie schrieb, sie wolle bei ihrem Mann bleiben und sich mit ihrer ganzen Energie dem Leben widmen, für das sie sich entschieden habe.«
Joanna schenkte uns nach.
»Haben Sie irgendwelche Beweise, was Adam betrifft?
Woher wissen Sie, daß er sich damals nicht gerade auf einer Bergexpedition befand?«
»Es war Winter. Außerdem hat sie ihm den Brief an eine Londoner Adresse geschickt.«
»Mal ganz abgesehen von der Tatsache, daß Sie keinerlei Beweise haben, glauben Sie wirklich, daß er dazu fähig ist, kaltblütig eine Frau umzubringen und dann einfach sein Leben weiterzuleben? Um Himmels willen!«
Ich dachte einen Moment nach.
»Ich glaube nicht, daß es etwas gibt, wozu Adam nicht fähig wäre. Nicht, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat.«
»Ich werde aus Ihnen einfach nicht schlau. Eben haben Sie zum erstenmal an diesem Tag geklungen, als würden Sie ihn wirklich lieben.«
»Natürlich liebe ich ihn. Aber darum geht es im Moment nicht.
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