Höhenangst
langsam, damit ich es ja mitbekam, schob er seinen feucht glänzenden Finger in den Mund und leckte ihn ab.
Am Sonntag strichen wir den Raum, der mein Arbeitszimmer werden sollte. Ich band mir das Haar mit einem Tuch zurück und schlüpfte in eine von Jakes alten Jeans, schaffte es aber trotzdem, mich mit erbsengrüner Farbe zu bekleckern. Wir aßen spät zu Mittag, und nachmittags machten wir es uns Arm in Arm auf dem Sofa bequem und sahen uns einen alten Film an. Unter dem Vorwand, ich hätte immer noch leichte Magenschmerzen, legte ich mich eine Stunde in die Badewanne und ging darin früh ins Bett. Als Jake später neben mich unter die Decke kroch, tat ich, als würde ich schon schlafen, während ich in Wirklichkeit noch stundenlang im Dunkeln wach lag. Ich überlegte, was ich anziehen sollte. Ich stellte mir vor, wie ich ihn halten und seinen Körper erkunden würde, wie ich seine Rippen und seine Wirbelsäule nachfahren und seine vollen, weichen Lippen mit meinen Fingern berühren würde. Meine Gedanken erschreckten mich.
Am nächsten Morgen stand ich als erste auf und nahm erneut ein Bad. Bevor ich ging, erklärte ich Jake, daß ich ziemlich lange arbeiten würde und eventuell zu einer Besprechung mit Kunden nach Edgware müsse. An der U-Bahn-Station rief ich Drakon an und hinterließ Claudia die Nachricht, daß ich krank im Bett läge und auf keinen Fall gestört werden wolle. Dann winkte ich ein Taxi herbei –
der Gedanke, mit der U-Bahn zu fahren, kam mir gar nicht
– und nannte dem Fahrer Adams Adresse. Ich versuchte, nicht über das nachzudenken, was ich tat. Ich vermied auch jeden Gedanken an Jake, sein fröhliches Gesicht, seine lebhafte Art. Ich sah aus dem Fenster, während das Taxi langsam durch den Berufsverkehr kroch. Ich bürstete mir noch einmal das Haar und zupfte an den Samtknöpfen meines Mantels herum, den mir Jake zu Weihnachten gekauft hatte. Vergeblich versuchte ich mich an meine alte Telefonnummer zu erinnern. Falls irgendwelche Passanten einen Blick in das Taxi warfen, sahen sie bloß eine Frau in einem strengen schwarzen Mantel auf dem Weg zur Arbeit. Ich konnte es mir immer noch anders überlegen.
Ich klingelte, und Adam riß die Tür auf, bevor ich Zeit hatte, ein Lächeln aufzusetzen oder mir eine scherzhafte Begrüßung auszudenken. Fast hätten wir es schon im Treppenhaus getrieben, schafften es dann aber doch noch bis in die Wohnung. Wir nahmen uns nicht die Zeit, uns auszuziehen oder hinzulegen. Er öffnete meinen Mantel, schob mir den Rock bis über die Taille und drang im Stehen in mich ein. Das Ganze dauerte nur eine Minute.
Hinterher nahm er mir den Mantel ab, strich meinen Rock glatt und küßte mich auf Augen und Mund. Heilte mich.
»Wir müssen reden«, sagte ich. »Wir müssen uns überlegen, wie …«
»Ich weiß. Warte.«
Er ging in die winzige Küche, wo ich ihn Kaffee mahlen hörte.
»Hier.« Adam stellte eine Kanne Kaffee und ein paar Mandelcroissants auf den kleinen Tisch. »Die habe ich unten für dich geholt.«
In dem Moment merkte ich erst, was für einen Heißhunger ich hatte. Adam sah mir beim Essen zu, als würde ich etwas ganz Außergewöhnliches tun. Einmal beugte er sich vor und zupfte mir einen Croissantkrümel von der Unterlippe. Er schenkte mir eine zweite Tasse Kaffee ein.
»Wir müssen reden«, sagte ich noch einmal. Er wartete.
»Ich meine, ich weiß doch gar nicht, wer du bist. Ich weiß weder deinen Nachnamen noch sonst etwas über dich.«
Er zuckte mit den Achseln.
»Ich heiße Adam Tallis«, sagte er einfach, als würde das alle meine Fragen beantworten.
»Was machst du?«
»Was ich mache?« fragte er, als wäre das alles weit weg und lange her. »Verschiedene Dinge an verschiedenen Orten, um Geld zu verdienen. Aber eigentlich klettere ich.
Wenn ich die Möglichkeit dazu habe.«
»Was? Berge?« Ich hörte mich an wie eine Zwölfjährige, piepsig und erstaunt.
Er lachte.
»Ja, Berge. Manchmal allein, manchmal als Führer.«
»Führer?« Ich entwickelte mich zu einem Papagei.
»Ich stelle Zelte auf und lotse reiche Touristen am Seil auf berühmte Gipfel, damit sie so tun können, als hätten sie sie wirklich bestiegen. So in der Art.«
Ich mußte an seine Narben und seine starken Arme denken. Ein Kletterer. Ich hatte vorher noch nie jemanden kennengelernt, der kletterte.
»Klingt …« Eigentlich wollte ich »aufregend« sagen, verkniff es mir dann aber, noch so etwas Dummes von mir zu geben, und fuhr statt dessen fort:
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