Hollys Weihnachtszauber
»Muss wohl am Whisky gelegen haben – daran bin ich nicht gewöhnt.«
»Aber war es wirklich nur der Whisky? Ich hatte das Gefühl, du wolltest mich ebenso sehr küssen, wie ich dich«, sagte er, und unsere Blicke, nur Zentimeter voneinander entfernt, begegneten sich und hielten einander lange fest.
Ich sah als Erste weg. »Kann sein … aber das war nur … rein körperlich.«
»Wirklich, Holly?«, fragte er leise. »Ich glaube, wir müssen miteinander reden, wenn es dir besser geht … Aber vorher gibt es da etwas, das ich dich jetzt gleich fragen muss …«, begann er.
Doch was auch immer es war, musste warten, denn genau in diesem Moment streckte Becca ihren Kopf zur Tür herein, um uns zu sagen, dass Jess trotz ihres Eisbades einigermaßen wohlauf war und in eine warme Decke gehüllt vor dem Kaminfeuer im Wohnzimmer saß, wo Tilda ihr aus einem Buch vorlas.
»Geht’s wieder besser?«, fragte Becca mich freundlich. »Kümmert sich Jude gut um dich?«
»Ja, es geht mir gut, danke«, antwortete ich, obwohl ich wusste, dass ich bestimmt rote Augen hatte, ein eindeutiges, verräterisches Zeichen. »Ich sollte wohl besser etwas in Sachen Lunch unternehmen, denn es ist praktisch schon Zeit zum Abendessen, und bestimmt sind alle inzwischen halb am Verhungern.«
»Ich mache das«, sagte Jude.
»Nein, ich manage das schon.«
»Dann manage einfach mich: Du setzt dich neben den Ofen und kommandierst mich herum – das kannst du doch gut.«
»Na, du als Oberkommandeur musst es ja wissen«, gab ich zurück, und er grinste.
»Na bitte, es geht dir schon besser!«
Ich gab nach und setzte mich hin – inzwischen schien die Wirkung des Whiskys ohnehin bereits meine Beine erreicht zu haben. »Es sollte sowieso nur Gentleman’s Relish-Sandwiches und Suppe geben, gefolgt von gefüllten Haferkeksen oder dem letzten Rest Mince-Pies – die habe ich vorhin aus der Tiefkühltruhe genommen.«
»Ich glaube, das bekomme sogar ich hin. Und in Wirklichkeit bin ich als Koch gar kein so hoffnungsloser Fall, was immer du auch denken magst.«
»Vergiss nicht, dass ich deinen unerschöpflichen Vorrat an Fertiggerichten in der Tiefkühltruhe gesehen habe.«
Unser Hickhack war überraschend freundschaftlich, nachdem die Verlegenheit nach der für uns beide überraschenden Umarmung verflogen war. Doch auch wenn wir beide vielleicht eine gegenseitige körperliche Anziehung zugeben würden, fielen ihm jetzt genauso wie mir vermutlich all die Gründe wieder ein, warum es wirklich keine gute Idee wäre, in dieser Richtung weiterzumachen.
Ich wunderte mich, was in aller Welt er mich hatte fragen wollen, als Becca hereingekommen war: Womöglich ob ich insgeheim einen vermeintlichen Rechtsanspruch auf den Thron von Old Place anmelden wollte?
Später fühlte ich mich blendend und bestand darauf, das Dinner selbst zu kochen. Allerdings bestanden Michael und Jude leicht argwöhnisch darauf, mir zu assistieren. Tilda und Jess machten als Vorspeise wieder einen Kartoffel-Igel mit Käse und kleinen Silberzwiebeln auf Cocktailspießen.
Doch immerhin waren Jess und ich bei der letzten Theaterprobe entschuldigt und konnten herumlümmeln und den anderen zusehen, bis wir von Jude mit Wärmflaschen früh ins Bett geschickt wurden. Als ich einwandte, ich hätte vorher noch in der Küche zu tun, meinte er, da gäbe es nichts, was nicht bis zum Morgen warten könne, und außerdem sei er durchaus in der Lage, abzuschließen und alles andere selbst zu erledigen, er sei ja auch vor meiner Ankunft vollkommen lebenstüchtig gewesen, und so fügte ich mich.
Er bedachte mich den ganzen Abend über mit auffällig forschenden Blicken, doch da sich diese nicht sehr von denjenigen unterschieden, die er beim Zeichnen auf mich richtete, musterte er mich wahrscheinlich nur im Hinblick auf eine weitere Skulptur: Nach meiner wasserlastigen Darbietung von vorhin vielleicht als kleine Meerjungfrau?
Ich war wirklich froh darüber, zu Bett zu gehen, denn ich fühlte mich zunehmend erschöpft und seltsam leicht im Kopf, dabei zugleich auf eigenartige Weise ganz ruhig: Recht bedacht hatte der ganze Vorfall auf dem Eis vermutlich eine stark reinigende Wirkung gehabt.
Nachdem ich nun akzeptiert hatte, dass Alan die Ereignisse, die zu seinem Tod geführt hatten, nicht hatte kontrollieren können, konnte ich ihm endlich vergeben und von dem Zorn lassen, der mich die letzten acht Jahre belastet hatte, und es war mir möglich, mich ganz einfach voller Liebe an ihn
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