Hollys Weihnachtszauber
Junge!«
»Genau. Das fußt alles auf der Tradition des Mummenschanzes und alten heidnischen Fruchtbarkeitsritualen mit Geschlechtertausch wie der Mann-Frau-Rolle bei unseren Festspielen, du wirst schon sehen.«
»Sofern ich dann noch hier bin«, antwortete ich. »Es scheint langsam Tauwetter einzusetzen, sodass ich vielleicht auch schon abgereist sein werde.«
»Natürlich bist du hier«, schnappte Old Nan unwirsch, die plötzlich aus dem Halbschlaf erwachte, gerade rechtzeitig, um diese Bemerkung mitzukriegen. »Wo denn sonst?«
Wenn es nach Ellen ginge, vermutlich beim Falafel-Kochen in einem noblen Haus in London, dachte ich!
Bald darauf fuhr Guy Old Nan und Richard wieder nach Hause. Zu meinem Erstaunen zeigte niemand Interesse daran, bis Mitternacht aufzubleiben, um das neue Jahr zu begrüßen, da, wie Noel auf meine Frage hin erklärte, in Little Mumming erst die zwölfte Raunacht immer als traditioneller Übergang des alten Jahres ins neue gegolten hatte, und daran würde sich wohl auch kaum je etwas ändern.
Alle gingen zu Bett, bis auf Jude, der mir in die Küche hinterherkam, wo ich gerade dabei war, die Sherrygläser abzuspülen.
Ich dachte, er würde Merlin hinauslassen und ein letztes Mal nach den Pferden sehen, doch stattdessen trat er zu mir, drehte mich an den Schultern zu sich um und schaute auf mich hinunter, als wäre mein Gesicht eine nicht ganz zuverlässige Landkarte, aus der er schlau zu werden versuchte, um ein Ziel zu finden, von dem er sich gar nicht sicher war, ob er es wirklich erreichen wollte.
»Was ist denn?«, fragte ich beklommen.
»Ganz wie Richard gesagt hat: Du bist auch nicht die, die du zu sein behauptest, Holly, stimmt’s?«
»Was meinst du damit? Natürlich bin ich Holly Brown!«, wich ich aus.
»Oh, ich bin sicher, dass du wirklich so heißt, aber praktisch vom ersten Moment an, als ich dich gesehen habe, hatte ich schon den Verdacht, dass du mit uns verwandt bist, wahrscheinlich unehelich. Bei Neds Charakter und der Art und Weise, wie du bei jeder sich bietenden Gelegenheit das Gespräch auf ihn gelenkt hast, schien er mir der wahrscheinlichste Kandidat dafür. Und als ich dann auch noch sein Foto auf deinem Nachttisch gesehen habe, hat sich alles zusammengefügt, und mir ist klar geworden, dass deine Großmutter dieses …«
»›Kleine Fabrikmädchen‹ war, wie Noel sich ausdrückte, das Ned in Schwierigkeiten gebracht hat?«, beendete ich bitter seinen Satz. »Ja, das war sie, aber sie war keine Fabrikarbeiterin, sie war Krankenschwester.«
»Das tut mir schrecklich leid«, entschuldigte er sich, obwohl er nichts dafür konnte. »Was ist aus ihr geworden?«
»Steht alles in ihren Tagebüchern, in denen ich lese, seit ich hierhergekommen bin – wie er sie verführt hat und sie dann, als sie schwanger war, hat sitzen lassen und nach Hause gerannt ist. Dann hat sie erfahren, dass er die ganze Zeit über schon mit einer anderen verlobt gewesen war«, erklärte ich ihm, »und schließlich haben ihre Eltern sie auch noch verstoßen, und sie war so verzweifelt, dass sie sogar daran gedacht hat, sich das Leben zu nehmen.«
»Oh Gott, das ist ja furchtbar!«, sagte Jude.
»Ja, aber dann kam der örtliche Rätselhafte-Baptisten-Pfarrer ihr zu Hilfe und hat sie geheiratet – mein Großvater.«
Geistesabwesend fuhr Jude sich mit der Hand durch die dunklen Haare, sodass sie in alle Richtungen standen. »Davon hatte ich keine Ahnung! Wirft nicht gerade ein gutes Licht auf meinen Onkel Ned – oder meine Familie –, nicht wahr?«
»Nein, es hat offenbar keinen gekümmert, was aus ihr geworden ist.«
»Hat sie denn jemals erfahren, dass er ums Leben kam?«
»Ja, aber nur weil sie es in der regionalen Zeitung gelesen hat. Es muss schrecklich gewesen sein, auf diese Weise davon zu hören.«
»Hat die Familie sie und das Baby tatsächlich völlig vergessen und ihr nie irgendwelche finanzielle Unterstützung angeboten? Das ist doch kaum zu fassen!«
»Soweit ich bis jetzt in dem Tagebuch gekommen bin, hat sie von deinen Verwandten nichts gehört – und außerdem hätte sie deren Geld gar nicht haben wollen, selbst wenn sie nicht meinen Großvater geheiratet hätte. Und falls du glaubst, ich wäre in der Absicht hierhergekommen, mich bei der Familie einzuschmeicheln, um irgendeinen Geldgewinn aus dieser Verbindung zu ziehen, bist du schwer im Irrtum!«, fügte ich empört hinzu.
»Anfangs ist mir dieser Gedanke durch den Kopf gegangen«, gestand er, »aber
Weitere Kostenlose Bücher