Hongkong 02 - Noble House Hongkong
an. Tiptop Toe war der Spitzname Tip Tok-tohs, eines Mannes in mittleren Jahren aus Hunan, Mao Tse-tungs Heimat. Er war während des Exodus von 1950 nach Hongkong gekommen. Niemand schien etwas über ihn zu wissen. Er machte niemandem Ärger, hatte ein kleines Büro im Princess Building und führte ein angenehmes Leben. Im Lauf der Jahre wurde es augenfällig, daß er ganz besondere Kontakte mit der Bank of China unterhielt, und die Annahme gewann an Wahrscheinlichkeit, daß er ein offizieller-inoffizieller Verbindungsmann der Bank war. Die Bank of China war der einzige kommerzielle Arm der Volksrepublik China außerhalb Chinas, und darum wurden alle Kontakte von der Parteispitze in Peking streng kontrolliert.
»Was ist mit Tiptop?« fragte Dunross. Er konnte Tiptop gut leiden. Er war ein charmanter Mann, der etwas für guten Kognak übrig hatte und ausgezeichnet Englisch sprach, aber fast immer einen Dolmetscher in Anspruch nahm. Seine Anzüge waren gut geschnitten, obwohl er meistens eine Mao-Jacke trug. Er sah Tschu En-lai ähnlich und war genauso schlau. Als Dunross das letztemal mit ihm zu tun gehabt hatte, handelte es sich um einige Maschinen für die zivile Luftfahrt, die die Volksrepublik haben wollte. In weniger als vierundzwanzig Stunden hatte Tip Tok-toh die Kreditbriefe und die Finanzierung durch verschiedene Schweizer und andere ausländische Banken besorgt. ›Tiptop ist ein As‹, hatte Alastair Struan oft gesagt. ›Bei ihm mußt du auf der Hut sein, aber er ist der Mann, mit dem man reden muß. Ich möchte glauben, daß er in der Partei in Peking ganz oben steht. Ganz oben.‹
Dunross bezwang seine Ungeduld. Der Bankier hielt eines der Schnupffläschchen in der Hand. Die reichverzierten kleinen Fläschchen waren aus Keramik, Jade oder Glas – viele davon auf der Innenseite, im Glas selbst, wunderschön bemalt: Landschaften, tanzende Mädchen, Blumen, Vögel, Seestücke, ja sogar Gedichte in unglaublich zarten Schriftzeichen. »Wie machen sie das bloß, Ian?«
»Sie benützen einen feinen Pinsel, dessen Stiel in einem Winkel von neunzig Grad gebogen ist. Auf Mandarin heißt es li myan huai, ›Malerei auf der Innenseite‹.«
Dunross hob ein Fläschchen auf. Auf den Bildern standen winzige Schriftzeichen.
»Erstaunlich! Was steht darauf geschrieben?«
»Ach, das ist einer von Maos Sprüchen: ›Erkenne dich, erkenne deinen Feind; hundert Schlachten, hundert Siege.‹ In Wirklichkeit hat der Vorsitzende das Sün-tse entlehnt.«
Nachdenklich betrachtete Johnjohn das Fläschchen. »Würden Sie für uns mit Tiptop sprechen?«
»Worüber?«
»Wir wollen uns von der Bank of China Bargeld leihen.«
Dunross sah ihn mit offenem Mund an. »Wie bitte?«
»Ja, auf eine Woche etwa. Sie haben so viel Hongkong-Dollar, daß sie nicht wissen, wohin damit, und sie brauchen keinen Run zu befürchten. Kein Chinese würde es wagen, sich vor der Bank of China in eine Schlange zu stellen. Wir könnten gute Zinsen für das Darlehen zahlen und jede gewünschte Sicherheit leisten, die sie haben wollten.«
»Ist das ein formales Ansuchen der Victoria?«
»Nein. Das ist unmöglich. Es ist eine Idee von mir. Ich habe noch nicht einmal mit Havergill darüber gesprochen.«
»Kann ich morgen vormittag um zehn mein Hundert-Millionen-Darlehen haben?«
»Tut mir leid, das kann ich nicht autorisieren.«
»Aber Havergill kann es.«
»Wenn die Bank nicht dasteht wie ein Fels in der Brandung, wird die Börse krachen – und mit ihr Noble House.«
»Wenn ich nicht selbst sehr bald eine Finanzspritze bekomme, sitze ich sowieso in der Scheiße.«
»Ich werde tun, was ich kann, aber werden Sie unverzüglich mit Tiptop reden? Fragen Sie ihn! Ich kann nicht zu ihm gehen – offiziell kann das keiner. Sie würden der Kolonie einen großen Dienst erweisen.«
»Garantieren Sie mir meinen Kredit, und ich rede heute abend mit ihm! Auge um Auge und Darlehen um Darlehen!«
»Wenn Sie mir seine Kreditzusage in der Höhe einer halben Milliarde in bar bis morgen um 14 Uhr bringen, bekommen Sie die Unterstützung, die Sie brauchen.«
»Wie?«
»Ich weiß es nicht.«
»Geben Sie mir das schriftlich bis morgen um zehn, unterzeichnet von Ihnen, von Havergill und der Mehrheit des Aufsichtsrates, und ich gehe zu ihm!«
»Das ist unmöglich.«
»Schade.« Dunross stand auf. »Welches Interesse hätte die Bank of China, der Victoria aus der Klemme zu helfen?«
»Weil wir Hongkong sind«, antwortete Johnjohn mit großer Zuversicht.
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