Honor Harrington 15. Die Spione von Sphinx
versuchte gar nicht erst, etwas davon Gallanti zu erklären, denn das wäre hoffnungslos gewesen. Selbst wenn man ihr Temperament außer Acht ließ, zeigte schon ihre Abkommandierung, dass Gallanti eine Vollstreckerin der SyS war. Das war ihre natürliche Denkungsart, die sie geradezu unausweichlich in jeden anderen SyS-Angehörigen projizierte.
Die Wirklichkeit war komplizierter. Im Gegensatz zu Gallanti hatte Yuri seine gesamte Laufbahn bei der ›Volksflotten-SyS‹ absolvierter war einer der wenigen Systemsicherheitsoffiziere auf einem Kriegsschiff, die an der Seite der Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften der Volksflotte, die sie offiziell überwachen sollten, arbeiteten und fochten. Viele, wenn nicht gar alle dieser SyS-Offiziere identifizierten sich im Laufe der Jahre immer stärker mit ihren Kampfgefährten; für jemanden von Yuris Charaktereigenschaften war diese Entwicklung unausweichlich gewesen – und sehr schnell gegangen.
Gallanti mangelte es an den nötigen Geistesgaben, um diesen Sachverhalt zu begreifen. Ein Oscar Saint-Just hingegen war sich darüber natürlich im Klaren. Dessen Problem bestand nun darin, dass er diesen Prozess benötigte , denn bittere Erfahrung hatte immer wieder bewiesen, dass in dem Schmelztiegel des Krieges nicht die Peitschenschwinger unter den Volkskommissaren die besten Ergebnisse erzielten, sondern genau solche Menschen wie Yuri Radamacher – diejenigen, die ihre Kameraden von der Volksflotte weniger beaufsichtigten als ihnen vielmehr zur Seite standen wie damals die Priester im Heer des katholischen Spanien: dem Namen nach Inquisitoren, in der Praxis jedoch eher Beichtväter. Menschen, die gerade so weit außerhalb der militärischen Befehlskette standen, dass Unteroffiziere und Mannschaften – aber auch Offiziere – sie um Rat, Hilfe und Ansicht bitten konnten. Oft genug auch um Fürsprache bei den Behörden, wenn sie gegen Vorschriften verstoßen hatten, die auf dem Papier unbeugsam waren, sich auf das persönliche Wort eines Volkskommissars hin aber plötzlich sehr nachgiebig zeigen konnten. Auch wenn Yuri zu der Organisation mit dem grimmigen Namen ›Amt für Systemsicherheit‹ gehörte, hatte er im Laufe der letzten zehn Jahre mehr Zeit damit verbracht, todunglückliche junge Mannschaftsdienstgrade zu stützen, wenn ihr Liebhaber oder ihre Liebhaberin aus der Ferne mit ihnen Schluss gemacht hatte, als Illoyalität und Treuebruch gegenüber dem System nachzuspüren.
In diesen Jahren hatte Yuri viel darüber nachgedacht und mit seinem natürlichen Hang zur Ironie einen gewissen Trost daraus gezogen. Was das Komitee für Öffentliche Sicherheit sonst auch immer gnadenlos unter dem Absatz zermalmt hatte, das grundsätzliche menschliche Verhalten hatte es nicht geändert, und Yuri bezweifelte, ob eine Tyrannei jemals dazu in der Lage wäre.
»Was also wollen Sie, Yuri?«, fragte Gallanti. Mochten ihre Worte schroff gewählt sein, ihr Ton war nicht der eines Menschen, der eine Abfuhr ausspricht. Sie klang vielmehr eher bittend.
»Lassen Sie mir freie Hand an Bord Ihres Schiffes«, antwortete er augenblicklich. »Dem Namen nach bin ich der ›Assistent des Sonderermittlers‹, der umherhuscht, um Fäulnis und Korruption auszumerzen. Tatsächlich werde ich Ihnen als Volkskommissar dienen. Ich verstehe mich gut auf das Schaffen von Moral, Julian, Sie werden schon sehen. Wenn Cachat zurückkehrt, kann ich ihm eine lange Latte unterdrückter Verbrechern unter die Nase halten. Aber was viel wichtiger ist, wir haben dann wieder ein funktionstüchtiges Großkampfschiff – und eine Besatzung, die einschließlich aller neuen Leute auf Stein und Bein schwört, dass das gute Schiff Hector ein verdammt gutes Schiff und Cap'n Gallanti eine verdammt gute Seele ist.«
»Und was soll das nutzen?«
»Julian, geben Sie Victor Cachat, was Victor Cachats ist. Für den Teufel würde ich das Gleiche tun. Richtig, er ist ein Fanatiker erster Güte. Auf seine eigene verdrehte Art ist aber jeder Fanatiker auch ein ehrenhafter Mensch. Dem Jungen ist es ernst mit dem, was er sagt , Julian. Wenn er von den ›Bedürfnissen des Staates‹ redet, dann meint er es wörtlich. Bei ihm ist es kein Deckmäntelchen für persönlichen Ehrgeiz. Wenn wir ihn überzeugen können, dass die ›faulen Stellen‹ ausgebrannt sind – dass wir sogar eine Wende zum Besseren bewirken konnten –, dann ist er zufrieden und geht seiner Wege. Der La-Martine-Sektor ist in den letzten Jahren tatsächlich
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