Huff, Tanya
dir
verlangen, daß du all diese Ferngespräche bezahlst!"
„Unsinn, Vicki, die Queens
University hat genug Geld, und ein kleiner Anruf
von Kingston nach Toronto kostet ja wirklich nicht die Welt, und da habe ich gedacht, ich nutze die Gelegenheit und frage mal nach, wie dein Besuch beim Augenarzt war."
„Retinitis pigmentosa ist unheilbar, Mutter. Ich bin immer noch nachtblind
und kann peripher so gut wie nichts sehen. Was kann ein Besuch beim Augenarzt
also schon groß bringen?"
.Victoria!"
Vicki seufzte und rückte ihre Brille zurecht. „Es tut mir leid. Es gibt keine
Änderung."
„Dann ist es
also nicht schlimmer geworden." Ihrem Tonfall nach hatte ihre Mutter die Entschuldigung akzeptiert und war bereit, das
Thema zu wechseln. „Hast du dir Arbeit beschaffen können?"
In der letzten Septemberwoche hatte Vicki die Aufklärung eines Versicherungsbetrugs abgeschlossen, seitdem war nichts nachgekom men. Wenn sie doch nur besser lügen könnte ... „Nein, Mutter."
„Was ist mit Mike Celluci? Er ist doch noch bei der Polizei. Kann der nichts für dich tun?"
„Mutter!"
„Oder dieser
nette Henry Fitzroy." Henry war einmal am Apparat gewesen, als sie
angerufen hatte und hatte sie sehr beeindruckt. „Er hat dir doch letzten Sommer Arbeit verschafft."
„Mutter! Ich brauche die beiden nicht, um Arbeit zu finden. Ich brauche niemanden, der mir Arbeit verschafft. Ich bin durchaus in der Lage, mir selbst Aufträge zu besorgen."
„Nun werde
nicht gleich wütend, Kind. Ich weiß doch genau, daß du durchaus selbst in der Lage bist, dir Arbeit zu suchen, aber ... oh, hier kommt gerade Dr. Burke, und ich
muß auflegen. Denk daran: Du kannst immer bei mir wohnen, wenn das nötig sein
sollte."
Es gelang Vicki, den Hörer sanft aufzulegen. Es hätte ja doch nur ihr
eigenes Telefon getroffen, und sie konnte sich zur Zeit weiß Gott kein neues leisten. Ihre Mutter hatte eine Art, so ... so ... ich nehme
an, es könnte schlimmer sein. Sie hat einen Beruf und ihr eigenes Leben - sie könnte auch auf Enkelkinder drängen. Vicki ging ins Badezimmer zurück und schüttelte beim Gedanken an Kinder den Kopf; Mutter sein war nie Teil ihres Lebensplans gewesen.
Vicki war zehn Jahre alt gewesen, als ihr Vater sie und ihre Mutter verlassen
hatte, alt genug also, um zu beschließen, daß Mutter sein einen Großteil der Probleme zwischen beiden
Elternteilen verursacht hatte. Andere
Scheidungskinder machten sich selbst für die Scheidung ihrer Eltern
verantwortlich, Vicki jedoch verwies die Schuld eindeutig dorthin, wo
sie ihrer Meinung nach hingehörte. Mutter zu sein hatte die junge, aufregende
Frau, die ihr Vater geheiratet hatte, in eine
Person verwandelt, die nie Zeit für ihren Mann hatte, und nachdem er gegangen war, stand die Notwendigkeit,
für ein Kind zu sorgen, bei allen Überlegungen der Mutter an erster
Stelle. Vicki war so schnell sie konnte
erwachsen geworden, denn ihre Unab hängigkeit
hatte wiederum auch ihrer Mutter neue Unabhängigkeit beschert - ein Geschenk, das diese nie realisiert
hatte.
Manchmal fragte Vicki sich, ob ihrer Mutter nicht eine in rosa Spitzen gehüllte Tochter lieber gewesen wäre, der es nichts ausmach te, liebevoll
umsorgt zu werden. Diese Überlegungen verursachten ihr jedoch keine schlaflosen
Nächte; sie war ja nun eindeutig weder rosa noch spitzenumhüllt, und das
hinderte ihre Mutter nicht daran, sie
liebevoll gluckend zu umsorgen. Vickis Mutter war stolz auf die Arbeit,
die ihre Tochter leistete; das hielt sie allerdings nicht davon ab, sich ständig über mögliche Gefahren, die
öffentliche Meinung, die Männer in Vickis Leben, die Eßgewohnheiten
ihrer Tochter, deren Augen und deren Mangel an zu bearbeitenden Fällen
Gedanken zu machen.
„Nicht, daß man sich über meine mangelnde Arbeitslast nicht sorgen müßte", gestand Vicki sich ein, während sie sich Shampoo ins Haar
massierte. Langsam wurde das Geld knapp und wenn nicht bald etwas auftauchte ...
„Irgend etwas
wird sich schon ergeben." Sie spülte die Haare aus und drehte die Dusche
ab. „Irgend etwas ergibt sich immer."
„Das ist doch lächerlich, ich werde mir das nicht gefallen lassen!" Dr. Rax warf sich mit solcher Wucht in seinen
Schreibtischsessel, daß dessen Rücklehne gegen die Wand schlug. „Wie können die es wagen, uns auszusperren?"
„Beruhigen Sie sich, Elias, Sie
kriegen noch ein Magengeschwür!" D r. Shane stand mit verschränkten
Armen in der Bürotür. „Es ist ja nur, bis der
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