Ich gegen Dich
hergekommen, um seine Schwester zu verteidigen, während du grade dabei bist, deine zu bedrohen! Und du glaubst, er hat ein Problem?«
Da knickte er ein. Es passierte in Zeitlupe. Erst sackten seine Schultern ab, dann wurden die Augen stumpf. Er sah aus, als wüsste er plötzlich nicht mehr, wo er war, und wollte gar nicht erst versuchen, das herauszufinden. Er wich zurück, lehnte sich an den Handtuchhalter und schloss die Augen.
Dann sagte er: »Man schleicht sich nicht in fremde Häuser und schlägt die Bewohner zu Boden.« Als er sich die Nase rieb, schmierte er sich wieder Blut auf die Wange.
Ellie fühlte sich bleiern, als sie aufstand. Die Zähne taten ihr weh, und ihr eines Knie war aufgeschlagen, weil sie auf dem nassen Gras ausgerutscht war. »Tom?«
»Diese ganze Familie spinnt total. Hast du ihn nicht gesehen? Du musst mir glauben, dass die schuld sind, nicht ich.«
»Tom, deine Nase blutet total.«
Das Blut war knallrot, erschreckend. Er versuchte es aufzufangen, doch es tropfte durch seine Finger und klatschte auf die Bodenfliesen.
»Warte, ich helf dir.«
»Ich will deine Hilfe nicht.«
Sie überließ ihm ihren Platz auf dem Klodeckel und holte ihm mehr Papiertücher. »Kneif sie hier so zusammen. Und leg den Kopf in den Nacken.«
Da kauerte er und hielt sich die Nase. Die Haare auf seinem Kopf glänzten feucht. »Es tut weh«, sagte er mit nasaler, belegter Stimme.
»Es hört gleich auf. Hier hast du mehr Papiertücher.«
Er reichte ihr die alten, die warm und schwer waren. Sie warf sie in den Treteimer und wusch sich dann die Hände am Becken. Auf dem Spiegel waren Blutspritzer. Sie wischte mit der flachen Hand darüber, bis das Glas rosa verschmiert war. Das musste sie später richtig putzen.
Sie trocknete sich die Hände ab, ging zum Wandschränkchen und nahm Hände voll Wattebäusche heraus – rosa, weiß, blassblau —, wie kleine Wolken. Dann spülte sie das Waschbecken aus und ließ frisches Wasser einlaufen. Es tat gut, etwas zu tun zu haben, das verlangsamte ihren Puls. So müssen sich die Krankenschwestern im Ersten Weltkrieg gefühlt haben, dachte sie. Während sie die Wattebäuschchen eintunkte und ausdrückte, sickerten Zahlen und Daten in ihren Kopf:
Der Krieg begann am 28. Juni 1914 und dauerte über vier Jahre. Verluste an Menschenleben: über elf Millionen. Faktoren, die in ganz Europa zum Erstarken des Nationalismus beitrugen: ...was für Faktoren waren das noch mal? Ellie stützte sich kurz am Waschbecken ab, während eine Panikwelle durch ihren Bauch schwappte. Erst vorige Woche hatte sie die Faktoren gebüffelt. Was war mit ihrem Hirn los?
Bemüht, sich zu beruhigen, kniete sie sich zu Toms Füßen auf den Boden und ließ ihn die Papiertücher aus der Nase entfernen. »Es hat aufgehört«, sagte sie. »Sag jetzt nichts. Ich mach dich sauber.«
»Okay.«
»Pst, nicht reden.«
Mit Wattebäuschen wischte sie ihm Mund und Nase, betupfte seine Augenbraue. Er stöhnte leise auf, als sie eine wunde Stelle auf seiner Wange berührte.
Dann kam Schweigen auf, ein klitzekleines Zeitfenster, in dem sie sich ansahen. »Es tut mir leid«, sagte er.
In Ellies Magen rumpelte es; da drin regte sich Wärme für ihren Bruder.
Er behielt sie im Auge, während sie ihn abtupfte. »Glaubst du, er macht Boxtraining?«
»Wahrscheinlich schon.«
Toms Gesichtszüge wurden weicher. »Er hat als Erster zugeschlagen, Ellie. Das konnte ich mir nicht gefallen lassen. Ich konnte nicht bloß dastehen und einstecken.«
Sie verstand nichts vom Kämpfen, das war das Problem. Sie hatte Feinheiten gesucht, aber es gab keine – es ging nur um Mut und Prahlerei. Tom hatte die bessere Waffe. Also gewann er. Vielleicht machte Mikey die Flasche nicht so viel aus wie ihr. Vielleicht fand er gar nicht, dass es unfair war.
»Er hätte nicht herkommen sollen. Er hätt sich nicht trauen sollen. Weißt du, was ich meine?«
Sie nickte.
»Ich hätte die Flasche nicht gegen ihn eingesetzt. Ich wollte ihm nur einen Schrecken einjagen. Du hast doch nicht geglaubt, ich wollte ihn wirklich mit der Flasche angreifen?«
»Ich weiß nicht.«
Er grinste. »Klatschnass hast du mich gemacht mit dem Gartenschlauch!«
»Jap.«
»Du spinnst vielleicht.«
Ihr schnürte es die Kehle zu, und Tränen traten ihr in die Augen. »Was kommt als Nächstes?«
»Ich geh vor Gericht. Ich komm frei. Alles wird wieder wie früher.« Tom blickte freundlich zu ihr runter, so wie früher, bevor all das passiert war. »Alles
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