Ich habe einen Namen: Roman
meiner Vergangenheit zu machen«, sagte Lindo.
»Nehmen Sie dieser Frau
die Fesseln ab«, sagte der Richter zu dem Wärter, »und lassen Sie sie gehen.«
Der Wärter, dessen
Tochter ich lesen gelehrt hatte, befreite mich mit einem Lächeln von meinen
Fußeisen, legte mir kurz die Hand auf die Schulter und folgte dem Richter und
seinem Schreiber aus dem Raum.
Lindo sah mich mit
einer Mischung aus Ehrerbietung und Scham an. »Meena«, sagte er. »Kann ich mit
dir reden?«
Ich war nicht in der
Verfassung für Lindos Bedauern, und konnte ihm auch nicht dafür danken, dass er
mir zurückgegeben hatte, was immer schon mir gehört hatte. Ich sah, dass
Solomon Lindo eine bessere Sorte Mann war als Robinson Appleby, aber die Welt,
in der er lebte und die auch ihm großen Profit geschenkt hatte, hatte ihn
beschmutzt. Ich wollte ihn nicht hassen, aber ich konnte ihm auch nicht
vergeben.
Plötzlich ergriff eine
neue Furcht von mir Besitz und überflutete meine Gedanken wie fließende Lava.
Was, wenn das Baby, das in mir heranwuchs, all das Böse und die Manöver dieser
Männer miterlebt hatte?
»Meena«, wiederholte
Lindo. »Darf ich …«
»Nein«, sagte ich, »ich
kann nicht.« Damit ergriff ich Sam Fraunces’ Arm und lief aus dem Raum.
Bis zum
letzten Tag der britischen Besatzung verließen keine weiteren Schiffe die Stadt.
Am 30. November 1783 wurde ich zur George III hinausgerudert, von Männern, die mich nicht kannten, befragt und ins Buch der Neger eingetragen. Endlich durfte ich die dreizehn Kolonien verlassen. Ich wusste,
dass sie die Vereinigten Staaten genannt werden würden, weigerte mich aber,
ihren Namen auszusprechen. Es gab nichts Vereinigtes an einem Land, das
behauptete, alle Menschen seien gleich, das mein Volk aber in Ketten hielt.
Ich hatte alle meine
Besitztümer im Gefängnis verloren, und kein Ehemann würde mich in Port Roseway
erwarten. Ich hatte auf Annapolis Royal gehofft, da Chekuras Schiff dorthin
gefahren war, doch dorthin hatte es keine Passage mehr gegeben und mir war
nichts als die George III geblieben. Aber ich hatte noch meine Beine, die mir ihren Dienst nicht
versagten, hatte meine Hände, mit denen ich Kindern auf die Welt zu helfen
vermochte, und ein Baby, das in mir heranwuchs. Wer würde mir bei der Geburt
meines Kindes helfen, fragte ich mich, wenn sein Tag hell über Neuschottland
heraufzog?
Ich hoffte, es würde
Chekura sein.
Als
hätte ich sie erst mit dem letzten Atemzug verloren
{Birchtown, 1783}
Als wir in
den Hafen am Ende einer tiefen Bucht segelten, spürte ich den Schnee auf meinem
Gesicht, das Eis, das sich auf meinen Lippen bildete, und sah den Granit der
Küste. Es gab riesige Kiefern und dichten Wald, und in der neu erbauten Stadt
liefen Hunderte Menschen umher. Ich hatte gedacht, wir würden nach Port Roseway
fahren, aber auf dem Schild am Anleger stand Shelburne .
Ich zahlte doppelt dafür,
dass ich das letzte Schiff mit Loyalisten aus New York hatte nehmen müssen: Ich
fuhr ohne meinen Mann, und wie er hatte auch bereits jeder andere freie Neger,
dem es erlaubt worden war, die Stadt verlassen. Ich kam als Allerletzte. Noch
sechs weitere Neger gingen mit mir von Bord der George III ,
doch die waren Sklaven und Vertragsknechte und folgten den Männern, denen sie
gehörten.
War das jetzt das
gelobte Land?
Ich verließ den
Anleger, lief durch die Stadt und hielt nach Chekura Ausschau. Vielleicht hatte
er ja herausgefunden, wohin das letzte Schiff aus New York gesegelt war.
Vielleicht war er hergekommen, um die Hand auf meinen anschwellenden Leib zu
legen und das Kind zu begrüßen, das wir gezeugt hatten. Aber ich sah kein
einziges vertrautes Gesicht. Die meisten Leute waren weiß und liefen an mir
vorbei, als existierte ich nicht.
Eine weiße Frau mit
Mütze und langem Mantel kam auf der Water Street auf mich zu.
»Ist das hier Port
Roseway?«, fragte ich, aber sie hatte weder ein Wort noch einen Blick für mich.
Neuschottland war
kälter als Charles Town, ja sogar noch kälter als New York.
So begrub ich denn fürs
Erste meine Hoffnung auf Chekura und machte mich daran, einen Platz zum
Schlafen zu finden, und dazu etwas zu essen für den heranwachsenden kleinen
Menschen in mir.
Im Merchant’s Coffee
House fragte ich nach Unterkünften und Arbeit. Ein großer Mann packte mich beim
Arm und zog mich zur Tür. »Wir bedienen hier keine Nigger«, sagte er.
»Ich will nicht bedient
werden«, sagte ich, »ich will nur …«
»Verschwinde«,
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