Im Kettenhemd (German Edition)
die Kette nicht wäre, dann könnte Dietrich mit Karls Hilfe nach draußen schauen und sehen, was die da so trieben.
Als Dietrich gerade so an sich hinunterschaute, um zu sehen, ob er schon dünner geworden sei, fiel sein Blick auf seine Riemenschließe, die er einst von einem maurischen Gefangenen gegen ein Stück Brot eingetauscht hatte. Der Kerl plapperte damals wie ein Wasserfall und Dietrich verstand kein Wort. Eines allerdings war ihm gut im Gedächtnis geblieben: Der Maure hat auf die Schließe gebissen. Vielleicht war das Metall besonders hart oder aber besonders weich. Es war an der Zeit, das herauszufinden.
»Was tut ihr?«, wollte Karl wissen.
»Ich bin gerade dabei, meine Hose zu verlieren«, scherzte Dietrich. »Will sehen, ob ich auch ohne den Leibriemen auskomme.«
Karl verstand erst gar nichts, hatte dann aber schnell erkannt, worum es hier ging. Sie suchten die Kette nach dem schwächsten Glied ab und wurden dicht bei dem großen Eisenring fündig. Dietrich wickelte sich den Gurt fest um die Hand und konnte dadurch die Schließe gut umfassen.
»So könnte es gehen«, raunte er Karl zu.
»Was, wenn hier einer was verrät?«, gab Karl zu bedenken.
»Das müssen wir riskieren. Der würde dann allerdings nicht mehr lange unter uns weilen.«
Beide waren in Hochspannung, was das Metall der Schließe bewirken würde. Dietrich versicherte sich der geistigen Abwesenheit der Mitgefangenen und ging ans Werk. Da die Schließe keine Feilzähne hatte, war das Geräusch kaum wahrzunehmen. Nach einer kleinen Weile intensivster Bearbeitung hatten sie die Gewissheit. Das Metall der Gurtschließe war überaus hart und könnte, sicher nur in vielen Stunden, die Kette durchreiben. Karls Verletzungen waren hinderlich für Arbeiten dieser Art, und so blieb Dietrich von Seidenpfad nichts weiter übrig, als die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Er brauchte diesen Mann an seiner Seite, um seine noch recht wagen Pläne in die Tat umzusetzen, denn ein Mann war nichts, aber zwei waren viel.
Nach einer Stunde wurde ihm die Hand lahm, aber die kleine Kerbe ließ schon hoffen.
»Lasst nur, Herr Dietrich, morgen ist auch noch ein Tag«, brummte Karl. »Wir haben sicher noch etwas Zeit hier und, wenn unsere nicht bald angreifen, noch viel mehr«, gab er mit Galgenhumor zum Besten.
An diesem Tag erzählten sie noch lange von den Kriegsereignissen vergangener Tage, und Dietrich hörte nun zum ersten Mal, wie Karl mit zwei seiner besten Fechter zur Kampfeinheit des Junkers gestoßen war.
Karl stammte aus einer Kulmer Familie, die nach ihren Besitzständen auch noch den Adelstitel hatte verkaufen müssen. Die Not in diesem Landstrich war nach den Erbfolgekriegen zu groß und seine Schwestern hatten mit ihren Männern einfach kein Glück. Die Kerle hatten Spielschulden bis über beide Ohren und wären wohl im Schuldturm vermodert, wenn nicht Geld beschafft worden wäre. Karl hoffte nun, durch Kriegsdienst und gute Beute wieder in seine angestammten Titel eintreten zu können. Während seiner Fechtausbildung lernte er seine beiden Getreuen kennen und hatte dann bei Jörg sein Auskommen, ja mehr noch, durch beherzte Angriffe hatte er auch guten Gewinn beieinander. Im Hanse-Dänemark-Krieg 1368 hatte Junker Jörg zu Trappenberg das Kommando über eine der besten Sturmabteilungen des Hanse-Heeres. Viel Gold der Hanse wurde damals von König Waldemar IV. von Dänemark erbeutet. Jörg mit seiner Kriegsrotte hatte bei einigen Gefechten das Glück auf seiner Seite und konnte einen Teil des Goldes zurückerobern. Einen guten Anteil der Beute bekamen seine besten Männer und somit auch Karl.
So erfuhr Dietrich nun auch, wohin es seinen alten Kämpen aus den spanischen Feldzügen verschlagen hatte. Seine Tapferkeit und List könnten bei der Eroberung des Chateaus von unschätzbarem Wert sein. Wenn er doch nur wüsste, wie es Jörg und Cedric ergangen war und ob sie gesund waren.
Am folgenden Tag machte sich Dietrich gleich wieder an die Arbeit, und so war dann auch in der zwölften Stunde ein gutes Stück geschafft. Geräusche, die auf ein geschäftiges Treiben im Burghof schließen ließen, waren ein Ansporn, mit der Kerbe voranzukommen.
Wenn das Essen für die Gefangenen in den Kerkerraum gebracht wurde, gab es keine näheren Kontrollen der Eisenketten. Sicher wollten die Wächter auch so schnell wie möglich wieder hier raus, denn der Fäkalienkübel trug sein Übriges zur »Luftverbesserung« bei.
Etwa um die zehnte Stunde des nächsten Tages
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