Im Schatten der Akazie
offizielle Antwort wird Hattuschilis Zorn auslösen, und dann eröffnet er ohne jedwedes Zögern die Feindseligkeiten.«
»Du setzt zu wenig Vertrauen in dich, Acha.«
»Ich sehe die Dinge, wie sie sind.«
»Wenn einer den Frieden noch retten kann, dann du.«
»Mit anderen Worten: Der Pharao befiehlt mir, mich auf den 57
Weg nach Hattuscha zu machen, dem hethitischen König seinen Standpunkt darzulegen und ihn dazu zu bringen, daß er sich anders besinnt.«
»Du liest in meinen Gedanken.«
»Da besteht nicht die geringste Aussicht auf Erfolg.«
»Acha … Hast du nicht schon ganz andere Heldentaten vollbracht?«
»Ich bin älter geworden, Majestät.«
»Demzufolge verfügst du über große Erfahrung! Es kann doch nicht damit getan sein, daß wir eine kriegerische Auseinandersetzung wegen dieser unmöglichen Eheschließung einfach hinnehmen, mir scheint es ratsam, selbst zu einem Schlag auszuholen.«
Der Gesandte zog die Brauen hoch. Er glaubte, Ramses gut zu kennen, doch der Pharao überraschte ihn einmal mehr.
»Wir haben mit unserem großen Freund Hattuschili ein Abkommen auf gegenseitigen Beistand geschlossen«, fuhr der König fort. »Du erklärst ihm, daß ich an unserer westlichen Grenze mit einem libyschen Überfall rechne. Nun ist aber, seit wir den Frieden ausgerufen haben, unsere Bewaffnung veraltet, und es mangelt uns an Eisen. Also bittest du den hethitischen König, uns davon eine ansehnliche Menge zu schicken. Dank seiner Hilfe und gemäß unserer Übereinkunft werden wir uns gegen den Angreifer zur Wehr setzen können.«
Fassungslos verschränkte Acha die Arme.
»Soll ich das wirklich tun?«
»Etwas habe ich noch vergessen: Ich bestehe darauf, daß uns dieses Eisen so schnell wie möglich geliefert wird.«
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ACHT
HA, DER SOHN des Königs und Isets der Schönen, h
K atte eine Laufbahn in der Armee oder der Verwaltung ausgeschlagen. Diese weltlichen Aufgaben zogen ihn nicht in ihren Bann, wogegen er wahre Leidenschaft für die Schriften der Weisen und die Baudenkmäler aus der Zeit der ersten Pharaonen empfand. Mit seinem kahlgeschorenen Schädel, dem von strengen Zügen geprägten kantigen Gesicht, den dunkelblauen Augen und der hageren Gestalt, die sich ob zuweilen schmerzender Gelenke ein wenig steif bewegte, war Kha der geborene Forscher. Er hatte sich Ansehen erworben, als er gegen Moses und dessen Zauber zu Felde gezogen war, und gebot mit Entschiedenheit über die Priesterschaft des Gottes Ptah in Memphis. Seit langem hatte Kha den auf Vergängliches gerichteten Teil seiner Obliegenheiten anderen übertragen, um die in der Luft und im Stein, in Wasser und Holz verborgenen Kräfte zu ergründen.
Das Haus des Lebens in Heliopolis bewahrte »die Seelen des Lichts« auf, die heiligen Archive aus jenem goldenen Zeitalter, da die Pharaonen Pyramiden erbauten und die Weisen Ritualbücher verfaßten. Hatten sie nicht bereits in dieser gesegneten Epoche die Geheimnisse des Lebens und des Todes durchschaut? Doch damit nicht zufrieden, übertrugen diese Weisen sie in Hieroglyphen, um sie an künftige Generationen weiterzugeben.
Als unumstritten sachkundigster Kenner der überlieferten Rituale war Kha dazu ausersehen worden, das erste hebsed seines Vaters zu gestalten, das Jubiläumsfest zur Feier von dreißig Jahren Herrschaft. Nach so langer Machtausübung galt die magische Kraft des Pharaos als erschöpft, weshalb es erforderlich gewesen war, alle Götter und Göttinnen um ihn 59
herum zu versammeln, damit diese übernatürliche Gemeinschaft ihm neue Energie spenden konnte. Vergebens hatten viele Dämonen versucht, die Erneuerung seiner Kraft zu vereiteln.
Kha begnügte sich nicht damit, die Zauberbücher zu entziffern, denn weitreichende Pläne ließen ihm keine Ruhe, so weitreichend, daß er die Unterstützung des Pharaos brauchen würde. Bevor er diese Träume jedoch seinem Vater offenbarte, mußte er sie mehr und mehr der Wirklichkeit annähern.
Deshalb durchmaß er seit dem Morgengrauen mit großen Schritten den Steinbruch in den roten Bergen bei Heliopolis, auf der Suche nach geeigneten Blöcken aus Quarzit. Der Legende zufolge hatten die Götter hier die gegen das Licht aufbegehrenden Menschen hingeschlachtet, deren Blut nun für immer den Fels durchtränkte.
Obgleich Kha weder Steinmetz noch Bildhauer war, besaß er ein angeborenes Gespür für diesen Rohstoff und nahm die Kraft wahr, die in dessen unterirdischen Adern schlummerte.
»Wonach suchst du, mein Sohn?«
Aus
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