Im Wirbel der Gefuehle
schrillen Schrei vernahm, dem ein tief grollendes Bellen folgte. Seine Nackenhaare sträubten sich, und er spornte sein Pferd an, um in die Richtung zu reiten, aus der er die Laute vernommen hatte.
Sein schwarzer Hengst galoppierte durchs Unterholz, sprang über einen umgefallenen Baumstamm und durchbrach die im Weg stehenden Büsche. Christien musste sich unter tief stehenden Ästen ducken, und herunterhängende Weinreben peitschten in sein Gesicht. Durch die Bäume vor ihm sah er dann aber eine Lichtung, in deren Mitte eine große, alte Eiche stand, unter der er die Umrisse eines Ponys und einer Stute ausmachen konnte. Schließlich erkannte er auch, dass die tiefen Knurrlaute von Chalmette kamen und die spitzen Schreie von Marguerite, die hinter dem Hund hertollte und deren Kleid farbenfroh zu ihm herüberschimmerte. Christien zügelte erleichtert sein Pferd und ließ es im Schritt auf die Lichtung zugehen.
Es war eine Szene wie in einem alten, idyllischen Fresko, mit einer auf dem Boden ausgebreiteten Wolldecke in Regenbogenfarben und einem Picknickkorb an der Seite. Reine stand in der Mitte des lauschigen Fleckens und hatte die Augen verbunden. Sie versuchte, mit ausgestreckten Armen nach ihrer Tochter zu greifen. Zum großen Vergnügen von Marguerite, die lachend um sie herumtanzte, erwischte sie die Kleine jedoch nicht. Der große, gutmütige Hund spielte begeistert mit und ließ ab und zu ein freundliches Bellen ertönen. Manchmal gelang es Reine, Marguerite zu berühren, sie tat aber so, als ob sie den kleinen Quälgeist nicht festhalten konnte, und drehte sich wieder nach der anderen Seite um. Dabei wirbelte ihr blaues Kleid durch die frische Morgenluft. Wieder einmal schaffte es das Kind, um Haaresbreite dem sicheren Griff ihrer Mutter zu entkommen, und gluckste vor Freude.
Der tiefe, dunkle Wald schluckte die Geräusche, sodass sie ganz in ihrem fröhlichen Treiben aufgingen und Christiens Näherkommen gar nicht bemerkten. Er glitt vorsichtig aus dem Sattel und band seinen schwarzen Hengst an einem tief hängenden Ast fest. Langsam schritt er auf den durch niedergetretenes Gras gekennzeichneten Picknickplatz zu und fragte sich, wann sie ihn wohl bemerken würden, zumal er schon fast am Waldesrand angekommen war.
Es war schließlich Chalmette, der in seinem Spiel innehielt und vernehmbar Laut gab, wobei er freudig mit dem Schwanz wedelte. Dann wurde auch Marguerite auf ihn aufmerksam. Sie bekam bei seinem Anblick ganz große Augen und wollte gerade ihren Mund aufmachen, um ihm etwas zuzurufen, als er schnell den Zeigefinger auf seine Lippen legte und ihr bedeutete, dass sie still sein sollte. Die Kleine kicherte in sich hinein und sah abwechselnd von ihrer nichts ahnenden Mutter und ihm hin und her.
Christien durchstreifte die letzten Büsche, bis er auf der kleinen Lichtung stand und mit zwei, drei Schritten direkt neben Reine war, die, sich ins Leere tastend, vorbeugte, um angestrengt auf die seltsamen Geräusche zu hören. Schließlich trat er direkt vor sie hin.
Nun berührte sie ihn unweigerlich mit ihren nach vorne gestreckten Händen. Sie strich ihm über seinen muskulösen Bauch und fasste ihn dann an der Hüfte. Die zarten Berührungen jagten ihm ein Schauer nach dem anderen über den Rücken, und plötzlich spürte er ein schmerzvolles Ziehen in seinen Lenden. Nichtsdestotrotz blieb er ungerührt stehen und holte tief Luft, als ihre Fingerspitzen über seinen Verband an der Brust glitten.
Ihre Lippen bewegten sich und formten schließlich seinen Namen. Dann lächelte sie.
Für Christien wurde diese abgelegene Lichtung plötzlich noch lieblicher und heller, erstrahlte in einem Glanz und machte diesen Flecken Erde zu einem Paradies. Er wollte nichts sehnlicher als diese Frau. Am liebsten würde er sie gleich auf der ausgebreiteten Decke in seine Arme schließen und sie an Ort und Stelle lieben, so als ob sie beide die einzigen Menschen auf dieser Welt wären.
»Maman, du hast Monsieur Christien gefangen!«, rief Marguerite und gluckste lachend vor sich hin, hüpfte herum und drehte sich wie ein kleiner, tanzender Derwisch im Kreis. »Jetzt ist er an der Reihe mit Blinde Kuh.«
Ach, blind war er ja eigentlich schon, blind vor Liebe zu dieser wundervollen Frau, dachte Christien, während er ihr die Binde von den Augen nahm und sie nachdenklich betrachtete. Seit er sie das erste Mal gesehen hatte, liebte er sie mit aller Macht seines Herzens.
Er hatte sie auch zuvor schon gewollt, hatte sich
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