Im Zwiespalt der Gefuehle
»Ich möchte in neun Monaten keine halbenglischen Babys sehen! So, jetzt sattle mir mein Pferd, damit ich losreiten kann. «
Montgomery lächelte ihr nach, als Jura die Ställe verließ. »Anmaßender englischer Balg«, schimpfte Jura.
Juras erste Aufgabe bestand darin, Cilean zu überzeugen. Cilean wollte natürlich mitkommen, und Jura verlor wertvolle Zeit, um ihr zu erklären, daß ihre Abwesenheit auffallen würde.
»Ich muß allein gehen. Zeichne mir so schnell wie möglich eine Karte, damit ich aufbrechen kann. «
Cilean fing an zu zeichnen, doch sie murrte dabei. »Wie willst du ihn finden? Er hat schließlich viele Stunden Vorsprung. «
»Ich werde denken wie ein blonder Engländer. Was meinst du — ob er eine Rüstung trägt und ein englisches Banner in der Hand hält? O Cilean, bete für mich. Wenn er getötet wird, dann bedeutet das Krieg. Nach seiner mitreißenden Rede gestern abend werden die Irial sein Andenken glorifizieren. «
»Hier ist die Karte«, sagte Cilean. Dann umarmte sie Jura. »Es tut mir leid, daß ich an dir gezweifelt habe. Geh und finde unseren König. Bring ihn gesund zurück. « Sie ließ Jura los. »Was willst du anziehen? «
Jura grinste. »Ich werde mich als Ulten verkleiden. Das wird die Leute abschrecken. Meine Tante besitzt ein paar Kleidungsstücke der Ulten. Die will ich stehlen. «
Cilean küßte ihre Freundin auf die Wange. »Geh mit Gott und kehre bald zurück! «
Jura ritt vorsichtig in das Gebiet der Vatell. Das alte, zerlumpte Ultengewand stank so fürchterlich, daß ihr Pferd zuerst ängstlich vor ihr zurückgescheut war. Sie konnte es ihm nicht verübeln. Sie hatte das verblichene Kleidungsstück, das früher prächtig ausgesehen haben mußte, aus dem Haus ihrer Tante gestohlen. Dann hatte sie es in Schweinemist getaucht und in Asche gewälzt, um den richtigen Ultengeruch und die passende Farbe zu erhalten. Jetzt wußte Jura, warum die Ulten der einzige Stamm waren, dem es erlaubt war, frei umherzustreifen. Niemanden gelüstete es nach den Habseligkeiten eines UIten. Obwohl die Ulten selbst öfter völlig grundlos aufgehängt wurden.
Unter der dreckigen Kleidung trug Jura die grüne Jagduniform der Garde und ihre Waffen.
Sie ritt nach Westen, wobei sie schmale Pfade benutzte, auf denen Wagen und größere Gruppen steckenbleiben würden. Jammernd erbettelte sie sich Essen und Wasser von den Bewohnern kümmerlicher Hütten, die neben vertrockneten Gemüsefeldern standen. Nach einem Tagesritt begann sie zu verstehen, warum Brita die reicheren Irial-Ländereien im Süden angegriffen hatte.
Am späten Abend gelangte sie an eine Schenke. Kerzenlicht schimmerte aus dem einfachen Fachwerkhaus, und sie vernahm heiseres Gelächter, vermischt mit dem Geräusch von aufeinanderprallendem Eisen. Sie band das Pferd im Wald fest und ging zur Tür des Gasthauses. Ein Kampf — das könnte bedeuten, daß sie ihren englischen Ehemann gefunden hatte. Sie hoffte nur, daß sie ihn noch retten konnte.
Niemand beachtete sie, als sie durch die Tür trat. Alle sahen gespannt auf zwei Angehörige der Vatellgarde, die einen Scheinkampf mit Breitschwertern durchführten. Jura kam sich etwas albern vor. Sie stülpte sich die schmutzige Kapuze über den Kopf und nahm auf einem freien Stuhl Platz. Als die anderen Leute am Tisch den fürchterlichen Gestank bemerkten, hoben sie alle die Köpfe und sahen sich um. Als sie die vermummte Gestalt bemerkten, rückten sie ab. Eine dürre Frau fragte Jura, was sie trinken wollte, und verlangte eine Kupfermünze im voraus als Bezahlung.
Jura sah sich unauffällig in der kleinen Gastwirtschaft um, aber sie konnte keinen blonden Engländer entdecken. An den Wänden standen ein paar Vatell, die fast so schmutzig wie sie selbst aussahen.
Jura trank ihr Ale. Der Kampf ging zu Ende. Lebensmittel, Kleider und Tiere wechselten ihre Besitzer, als die Gewinne der Wetten ausbezahlt wurden.
»Was ist das für ein Gestank? « schrie eine betrunkene Stimme.
Jura stellte ihren Krug hin und wollte aufstehen. Sie wollte das Lokal so schnell wie möglich verlassen. Da legte sich eine schwere Hand auf ihre Schulter.
»Ein Ultenjunge«, kreischte jemand. »Kommt, wir wollen ihm eine Lektion erteilen. «
Eine Hand griff nach Juras Kapuze und riß sie ihr vom Kopf. Ihr Gesicht war jetzt zu sehen.
»Na, so was«, meinte jemand. »Ein Mädchen! «
»Eine Schönheit. «
»Der wollen wir aber eine andere Art von Lektion erteilen, was? « lachte ein anderer
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