Inspector Alan Banks 16 Im Sommer des Todes
war nicht nervös oder hektisch, als ob er jemanden erwartete?«
»Nein.«
»Haben Sie irgendwelche Pläne für die Zukunft gemacht?«
»Also, er hat mich nicht gefragt, ob ich ihn heiraten will, falls Sie das meinen.«
Annie lachte. »Das hab ich auch nicht geglaubt, aber wollten Sie sich wieder treffen?«
»Klar. Er wollte noch eine Woche bleiben, und ich hab gesagt, ich könnte vielleicht noch ein paar Mal freimachen - aber er müsste neue Kondome besorgen. Er hat gesagt, ich könnte ihn auch in London besuchen, wenn ich Lust hätte. Er würde oft Freikarten bekommen, und er könnte mich auf Konzerte mitnehmen.« Kelly machte einen Schmollmund. »Aber mein Vater hätte mich niemals fahren lassen. Für ihn ist London der Inbegriff für alles Schlechte.«
»Hat Nick Ihnen seine Adresse gegeben?«
»So weit waren wir noch nicht. Wir dachten ja ... verstehen Sie ... dass wir uns noch mal wiedersehen würden. Ach, Scheiße! Sorry.« Erneut tupfte Kelly sich das Gesicht ab. Vom Weinen war ihre Haut fleckig geworden. Abgesehen davon, war sie eine hübsche junge Frau. Annie konnte verstehen, dass Männer sich zu ihr hingezogen fühlten. Kelly war nicht dumm, wie sie selbst betont hatte, und ihre Einstellung zum Sex war von einer Offenheit, um die sie sicher viele beneiden würden. Doch im Augenblick war Kelly nur ein wütendes, verwirrtes Mädchen, dessen Haut verrückt spielte.
Als sie sich wieder beruhigt hatte, lachte sie und sagte: »Sie finden mich bestimmt ziemlich albern, weil ich wegen einem Kerl heule, den ich gerade erst kennen gelernt habe.«
»Nein, tu ich nicht«, sagte Annie. »Sie haben sich ihm nahe gefühlt, und jetzt ist er tot. Das muss schrecklich sein. Es muss weh tun.«
Kelly schaute Annie an. »Sie verstehen mich, stimmt's? Sie sind nicht so wie die anderen. Nicht so wie der alte Griesgram, mit dem Sie gestern Abend da waren.«
Annie musste über die Beschreibung von Banks lächeln; sie hatte ihn nie als griesgrämig empfunden. »Ach, der ist schon in Ordnung«, sagte sie. »Er hatte es bloß in letzter Zeit nicht leicht gehabt.«
»Nein, im Ernst. Sie sind in Ordnung, wirklich. Wie ist das so als Bulle?«
»Mal so, mal so.«
»Meinen Sie, ich hätte eine Chance, wenn ich mich, ähm, bewerben würde?«
»Einen Versuch ist es sicher wert. Intelligente, motivierte Leute können wir immer gebrauchen.«
»Klingt ganz nach mir«, sagte Kelly mit einem schiefen Lächeln. »Intelligent und motiviert. Mein Vater fände das bestimmt gut.«
»Da wäre ich mir nicht allzu sicher«, meinte Annie, die daran dachte, was Banks ihr über die Reaktion seiner Eltern auf seine Berufswahl erzählt hatte. »Aber lassen Sie sich davon nicht beirren.«
Kelly runzelte die Stirn. »Hören Sie, ich muss jetzt wirklich zur Arbeit. Ich bin eh schon zu spät dran. CC dreht bestimmt durch.«
»Okay«, sagte Annie. »Ich glaube, das war in etwa alles.«
»Könnten Sie noch kurz warten, bevor wir losfahren!«, fragte Kelly, klappte den Spiegel herunter und holte eine kleine rosafarbene Dose aus ihrer Handtasche. »Ich muss mich noch kurz frisch machen.«
»Natürlich.« Amüsiert beobachtete Annie, wie Kelly Lidschatten und Wimperntusche sowie verschiedene Puder und geheimnisvolle Flüssigkeiten auftrug, um die Akne und die Rötungen abzudecken. Dann fuhr Annie den Hügel hinunter, um das Mädchen beim Cross Keys abzusetzen, und anschließend wieder hinauf, um zu sehen, was sich in der Jugendherberge getan hatte.
** 5
10.-12. September 1969
Während der folgenden Tage machten Chadwicks Ermittlungen frustrierend wenig Fortschritte. Die beiden entscheidenden Fragen - wer war das Mädchen, und wer war zum Zeitpunkt des Todes bei ihr gewesen? - blieben ungeklärt. Irgendjemand musste das Mädchen doch vermissen, dachte Chadwick. Es sei denn, sie war obdachlos.
An der Heimatfront war alles ruhig, seit er mit Yvonne den Kompromiss geschlossen hatte. Er war sich mittlerweile sicher, dass sie Sonntagabend auf dem Brimleigh-Festival gewesen war - sie war wirklich eine schlechte Lügnerin -, doch es schien nutzlos, weiter auf dem Thema herumzureiten. Was passiert war, war passiert. Wichtiger war, solche Vorkommnisse in Zukunft zu verhindern, und Janet hatte recht: Das würde er nicht erreichen, indem er seine Tochter beschimpfte.
Dennoch hatte Chadwick am Mittwoch einen kurzen Blick ins Grove geworfen, um zu
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