Inspector Alan Banks 16 Im Sommer des Todes
Kunst und Musik und Literatur. Sie sagte, sie wolle nichts anderes als Frieden auf der Welt und dass alle Menschen glücklich seien.« Wieder griff Mrs. Lofthouse nach ihrem Taschentuch.
»Sie kamen also gut miteinander aus?«
»Würde ich schon sagen. Oberflächlich betrachtet. Linda war klar, dass ich von ihrem Leben nichts hielt, auch wenn ich nicht viel darüber wusste. Sie sprach vom Buddhismus, von Hindus und Sufis und weiß der Himmel wovon, aber nicht ein einziges Mal war von unserem Herrn Jesus Christus die Rede. Dabei habe ich sie zu einer guten Christin erzogen.« Mrs. Lofthouse schüttelte leicht den Kopf. »Ich weiß es nicht. Vielleicht hätte ich mich mehr anstrengen sollen, ihre Sicht zu verstehen. Es war nur so weit weg von mir und allem, woran ich je geglaubt habe.«
»Und was erzählten Sie Ihrer Tochter so?«
»Die neuesten Geschichten und was ihre ehemaligen Schulfreundinnen so machten. Linda war nie lange hier.«
»Kannten Sie ihre Freunde?«
»Ich kannte alle Kinder in der Siedlung, mit denen sie gespielt hatte, auch ihre Schulfreundinnen, aber ich weiß nicht, mit wem sie ihre Zeit verbrachte, nachdem sie ausgezogen war.«
»Hat Linda niemals Namen genannt?«
»Das kann schon sein, aber ich kann mich an keine erinnern.«
»Hat sie mal erzählt, dass irgendjemand oder irgendwas ihr Sorgen machte?«
»Nein. Sie wirkte immer glücklich, als hätte sie keine Sorgen.«
»Sie wissen nicht, ob sie eventuell Feinde hatte?«
»Nein. Das kann ich mir bei ihr aber nicht vorstellen.«
»Wann haben Sie Linda zum letzten Mal gesehen?«
»Im Sommer. Im Juli muss das gewesen sein, kurz nachdem Jim ...«
»Kam sie zur Beerdigung?«
»Oh, ja. Sie war mit dabei, im Mai. Linda liebte ihren Vater. Sie war mir eine große Stütze. Ich möchte bei Ihnen nicht den Eindruck erwecken, Mr. Chadwick, dass wir uns gestritten hätten oder so. Ich liebte Linda, und ich wusste, dass auch sie mich liebte. Wir konnten uns nur nicht mehr richtig unterhalten, wir hatten nichts Wichtiges zu besprechen. Sie war einfach verschlossen. Irgendwann gab ich es dann auf. Aber das letzte Mal, das war zwei Monate nach Jims Tod, da kam sie nur kurz vorbei, um zu sehen, wie es mir ging.«
»Wovon redete sie denn bei diesem Besuch?«
»Wir sahen im Fernsehen, wie dieser Mann auf dem Mond spazieren ging. Neil Armstrong. Linda war ganz aufgeregt, sie meinte, das wäre der Beginn eines neuen Zeitalters, na ja, ich weiß nicht. Wir saßen noch nach drei Uhr vor dem Fernseher.«
»Sonst noch etwas?«
»Tut mir leid. An was anderes kann ich mich nicht erinnern, nur an die Mondlandung. Irgendein Popstar, den sie gut fand, war gestorben, und sie ging zu einem Gratiskonzert der Rolling Stones im Hyde Park. Also in London. Und ich weiß noch, dass sie über den Krieg sprach. Den in Vietnam. Wie unmoralisch der wäre. Ständig redete sie über den Krieg. Ich versuchte ihr zu erklären, dass Kriege manchmal einfach nötig wären, aber sie wollte nichts davon wissen. Für sie war jeder Krieg böse. Sie hätten das mal hören müssen, wenn Linda und ihr Vater sich in die Haare kriegten - er war im letzten Krieg bei der Marine, bis zum bitteren Ende.«
»Aber Sie sagten doch, Linda hätte ihren Vater geliebt.«
»Ja, natürlich. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich meine ja nicht, dass sie immer auf Kriegsfuß miteinander standen. Ich meine, er versuchte, sie an die Kandare zu nehmen, regte sich auf, wenn sie abends nicht nach Hause kam. Sie machte uns wirklich ganz schön zu schaffen. Manchmal waren die beiden wie Hund und Katze, aber trotzdem liebten sie sich.«
Die Situation kam Chadwick so bekannt vor, dass der Gedanke ihn bedrückte. So waren doch bestimmt nicht sämtliche Kinder, oder? Machten sie alle ihren Eltern solchen Kummer? Reagierte er vielleicht falsch auf Yvonne? Gab es noch eine andere Möglichkeit? Chadwick fühlte sich wie ein Versager, aber was sollte er anderes tun, als seiner Tochter Hausarrest zu geben? Wenn Yvonne sich über Kriegsübel ausließ, erstarrte er immer innerlich; er konnte nicht einmal vernünftig mit ihr streiten, weil er Angst hatte, die Nerven zu verlieren, zu heftig vom Leder zu ziehen und Dinge zu sagen, die er später bereuen würde. Was wusste sie schon über den Krieg? Dass er schlecht war? Sicher. Notwendig? Nun, wie sonst hätte ein Tyrann wie Hitler aufgehalten werden können? Über Vietnam wusste
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