Inspector Rebus 10 - Die Seelen der Toten
Spaziergang nach Marchmont. Die steile Cockburn Street hinauf, mit ihren vielen »alternativen« Läden. Dann die High Street hinauf zur George IV. Bridge und wieder hinunter an Bibliotheken und Buchläden vorbei zu Greyfriars Bobby. Vorüber an der Universität und dem Gewimmel von Studenten, die Bücher unter dem Arm trugen oder ihre Fahrräder schoben. Dann die Meadows, eben und grün, und fern im Hintergrund Marchmont. Ihr gefielen die Geschäfte in der Nähe von Johnnys Wohnung; das Haus fand sie hübsch und ebenso alle Straßen in der näheren Umgebung. Die Dächer erschienen ihr wie die Türme von Burgen. Johnny hatte gesagt, das Viertel sei voll von Studenten. Sie hatte immer gedacht, Studenten würden in ärmlicheren Gegenden wohnen.
Sie öffnete die Haustür und stieg die Treppe hinauf zu Johnnys Wohnung. Hinter seiner Tür lag Post auf dem Boden. Sie hob sie auf, nahm sie mit ins Wohnzimmer. Schienen nur Rechnungen und Reklamesendungen zu sein; keine eigentlichen Briefe. Keinerlei Fotos in seinem Wohnzimmer; zwischen Regalen und Schränken Lücken, die sie mit etwas Dekorativem ausgefüllt hätte. Säuberlich gestapelte Bücher; bevor sie sie eingesammelt hatte, waren sie im ganzen Zimmer verstreut herumgelegen. Es gab mal eine Zeit, da hätte Brian es nicht geduldet, wenn sie seine Sachen umgeräumt hätte; mittlerweile würde er es wahrscheinlich nicht einmal mehr merken. Johnny war es aufgefallen, dass sie aufgeräumt hatte, aber ob es ihm recht gewesen war, hätte sie nicht sagen können - auch wenn er sich bedankt hatte.
Sie trug Becher, Teller und Aschenbecher in die Küche. Nahm eine Decke vom Sofa und legte sie auf das Bett im Gästezimmer. Als alles zu ihrer Zufriedenheit aussah, überlegte sie, was sie als Nächstes tun könnte. Die Fenster putzen? Womit? Sich irgendwas kochen? Sich eine Platte anhören? Wann hatte sie sich zuletzt einfach hingesetzt und Musik gehört? Wann zuletzt Zeit dazu gehabt? Sie sah Johnnys Plattensammlung durch. Zog ein Album heraus -eins der ersten von den Rolling Stones. Vielleicht war es sogar dasselbe, das er damals besessen hatte, als sie miteinander gingen. Auf der Rückseite entdeckte sie eine verschnörkelte Kritzelei in Tinte: JLJ - Janice Liebt Johnny. Sie hatte das eines Abends da draufgeschrieben, neugierig, ob es ihm auffallen würde. Er sah sich immer gern die Hüllen seiner LPs an. Und als er es entdeckt hatte, war er überhaupt nicht begeistert gewesen, hatte versucht, es wieder wegzuradieren. Man sah noch immer die Spuren ...
Die Sommer im Cafe, die langen Abende mit dem Cola-Automaten und der Jukebox. Dann eine Tüte Fritten, mit Salz und Essig. An manchen Abenden vielleicht ein Film oder einfach nur ein Spaziergang im Park. Der Jugendklub wurde von der Kirche geleitet.
Johnny hatte das nicht gefallen; mit der Kirche hatte er nichts am Hut gehabt. Trotzdem stand da jetzt eine Bibel, ganz allein, auf dem Kaminsims. Und es gab noch andere Bücher, die irgendwie religiös aussahen: Die Bekenntnisse des heiligen Augustinus; Die Wolke des Nichtwissens . Das klang gut: »Die Wolke des Nichtwissens«. Haufenweise Bücher, trotzdem wirkte er nicht gerade wie eine Leseratte, und die Bände sahen wie neu aus, die meisten jedenfalls. Sein Schlafzimmer... sie hatte einen Blick riskiert. Nicht gerade einladend: Matratze auf dem Boden, in einer Ecke ein Haufen Klamotten, die darauf warteten, in die Kommode verfrachtet zu werden. Einzelne Socken: Was hatten Männer bloß immer für ein Problem mit ihren Socken? Die ganze Wohnung wirkte irgendwie lieblos, ungeliebt, trotz der frisch gestrichenen Tapeten im Wohnzimmer. Sein Sessel am Erkerfenster, daneben auf dem Fußboden das Telefon - die ganze Wohnung schien sich um diesen einen Bereich zu zentrieren. Küchenschränke voller Flaschen: Whisky und Brandy und Wodka und Gin. Noch mehr Wodka im Eisfach; im Kühlschrank Bier, dann Käse, Margarine und eine leicht abschreckend wirkende Viertelpfunddose Cornedbeef. Rote Bete und Himbeermarmelade auf der Arbeitsfläche, im Brotkasten zwei trockene Brötchen und ein Kanten Brot.
Es hieß, die Wohnung eines Mannes verrate viel über ihren Bewohner. Sie hatte den Eindruck, dass Johnny einsam war, aber wie konnte das sein, wo er doch mit dieser Ärztin zusammen war, dieser Patience Soundso?
Es klingelte. Sie fragte sich, wer das sein konnte. Ging zur Tür und öffnete, ohne auch nur einen Blick durch den Spion zu werfen. Ein Mann stand da und lächelte.
»Hallihallo«,
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