Irgendwo dazwischen (komplett)
abschickst, werde ich es
tun.“
Emma
„Oh...
Emma...“ Er und die Fremde schauen betreten zu Boden. „Ich wusste gar nicht,
dass du da bist.“ Ich lächle. „Haben wir dich geweckt?“ Er wird rot. „Ich
meine, die Musik. Hat dich die Musik geweckt?“
Ich
schüttle den Kopf. „Nein... ich habe gelesen.“ Erstaunt schaut er mich an. „Ja,
Joakim, das mag ein Schock für dich sein, aber ich kann lesen...“ Die Fremde
lächelt mich an. „Es ist die Haarfarbe“, sage ich lächelnd und gehe einen
Schritt auf sie zu. „Ich bin Emma.“ Plötzlich scheinen Joakims Manieren zu ihm
zurückzukehren.
„Oh,
entschuldigt... Clarissa, das ist Emma, Emma, das ist Clarissa.“ Wir reichen
uns die Hand.
„Schön,
dich kennenzulernen.“
„Finde ich
auch...“ Sie klingt verlegen, als sie das sagt. Auf dem Boden liegt Joakims
Hose, Socken, ein BH, und ihre Jeans. Sie trägt ein Unterhemd und ihre
Unterhose. Joakim nur seine Boxershorts.
„Ich will
euch nicht länger stören, ich hatte nur Lust auf Eistee.“
„Sicher...
Der ist im Kühlschrank.“
Ich grinse
in mich hinein. „Wo sollte er auch sonst sein?“
„Ja,
genau...“ Er sagt das leise, er nuschelt es vor sich hin. Ich nehme ein Glas
aus dem Küchenschrank.
„Will sonst
noch jemand Eistee?“
„Ja, ich hätte
gern ein Glas.“
„Und du,
Joakim?“
„Ich? Ähm,
nein, danke.“ Ich schenke mir und Clarissa etwas ein, dann reiche ich ihr das
vollere der beiden Gläser.
„Danke.“
„Kein
Problem.“ Ich stelle den Eistee in den Kühlschrank zurück. „Joakim?“ Er schaut
mich an. „Der Eistee ist jetzt wieder im Kühlschrank. Nur, falls du ihn suchen
solltest.“ Clarissa grinst. Sie ist wirklich hübsch. Schulterlanges hellbraunes
Haar, grazile Statur, ein schönes Gesicht. Nur das Muttermal, das sie auf der
Stirn hat, stört mich ein wenig. Es ist zu dominant für ein solch zartes
Gesicht. „Ich geh dann mal wieder.“
„Lesen?“
Ich nicke.
„Ja, Joakim, lesen.“
„Was liest
du denn?“
„Nicht Die
unerträgliche Leichtigkeit des Seins .“ Er lächelt schuldbewusst. „Ich lese Die
Buddenbrooks .“ Völlig entgeistert schaut er mich an.
„Und wie
ist es?“, fragt Clarissa.
„Es ist
intelligent, unterhaltsam und herrlich altmodisch.“
„Du liest
wirklich Die Buddenbrooks ?“ Ich nicke. „Von Thomas Mann?“
„Gibt es
denn einen anderen Schriftsteller, der ein Werk mit demselben Titel
veröffentlicht hat?“ Er schüttelt den Kopf.
„Wieso
findest du es so seltsam, dass Emma dieses Buch liest?“ Er schaut zu Clarissa.
Und weil er nicht antwortet, tue ich es.
„Es wundert
ihn, weil es in dem Buch nicht um Schuhe oder Volumenmascara geht.“
„Das
verstehe ich nicht“, sagt sie irritiert.
„Das kann
Joakim dir erklären.“ Ich lächle ihr zu, dann verlasse ich die Küche. Und ich
habe nicht nur Eistee dabei, sondern auch den Triumph über Joakim.
Marie
Ich sitze
im Bus und starre aus dem Fenster. Es scheint fast so, als würde ich das nur
tun, um den großen Umschlag, der neben mir liegt, zu vergessen.
Der blaue
Himmel umrahmt die Laubbäume. Ihre Blätter zittern im Wind. Die Sommerhitze
glänzt auf meiner Stirn. Ich schaue durch den fast leeren Bus. Außer mir sitzen
da nur vier Leute. Jeder in seiner Welt, beschäftigt mit seinen Gedanken. Mein
Blick fällt auf die Lehne des Sitzes vor mir und auf einen Satz, der dort
geschrieben steht. Man sieht, dass jemand diesen Satz während der Fahrt geschrieben
hat. Stell dir vor, Gott gibt dir ein Leben, was würdest du damit tun? Immer und immer wieder lese ich ihn. Und in diesem Augenblick wird mir klar,
dass ich nie so recht wusste, was ich mit meinem Leben machen soll. Ich habe
keine Ahnung. Es scheint fast so, als wäre dieses Leben die Generalprobe für
das eigentliche Leben. So eine Art Übungslauf für die Realität. Und das ist ein
Fehler.
Ich schaue
wieder aus dem Fenster. Was will ich? Studieren. Okay, das ist ein Anfang. Und
ich denke, ich weiß sogar, was. Aber das ist nicht der Punkt. Die Wahrheit ist
nämlich, dass ich nicht hier studieren will. München ist nichts Neues. Es
scheint so, als würde diese Stadt von Jahr zu Jahr kleiner. Weltstadt mit
Herz... Also eine Weltstadt ist das hier nicht. Aber hier bin ich zu Hause.
Und genau das ist das Problem. Ich will etwas Neues erleben, aber ich will
nicht weg. Aber genau das müsste ich tun. Meine Sachen packen und abhauen,
bevor ich so fest mit dieser Stadt verwachsen bin, dass ich
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