Irgendwo dazwischen (komplett)
sie
ist da. Die Tram schleppt sich von Haltestelle zu Haltestelle. Eine Gruppe
Mädchen steigt ein und schaut mich bestürzt an. Kaum sind sie an mir vorbei
gehuscht, höre ich sie kichern. Was wisst ihr schon... Noch drei Stationen.
Mein Handy Akku ist leer und ich kann niemanden anrufen. Wie kann eine Frau wie
Mona mit einem Kerl wie Rüdiger zusammen gewesen sein? Das will mir einfach
nicht in den Kopf. Nächster Halt: Amalienburgstraße. Na,
endlich. Warum mich dieses Gefühl dermaßen überfällt, verstehe selbst ich nicht
so richtig. Was war da schon? Seine Hände unter meinen Unterhemd und seine
Finger zwischen meinen Beinen. Es ist ja nicht so, als ob er lange Zeit gehabt
hätte. Doch dieses Gefühl, dass ich mich nicht wehren konnte... Dass jemand
einfach so viel stärker ist und ich dermaßen ausgeliefert bin... klein,
abhängig und hilflos... Er widert mich so an. Und Mona widert mich an. Ein
letztes Mal versuche ich, mein Handy einzuschalten, als ich in den Bus
einsteige. Keine Chance. Gestern habe ich mich noch gefragt, ob ich das
Scheißteil aufladen soll. Hätte ich es doch nur gemacht... Wie alle Leute
schauen. Als hätten sie noch nie in ihrem Leben einen Menschen gesehen, der
weint. Traurig soll man bitte im Stillen sein. Alles Heuchler.
Bevor ich bei Altmanns klingle, versuche ich noch die schwarzen
Streifen, die mein gesamtes Gesicht bedecken, ein wenig wegzuwischen, was aber
leider überhaupt nicht klappt. Ganz im Gegenteil. Ich verschmiere sie nur noch
mehr und sehe deswegen anschließend noch viel schlimmer aus als vorher. Ist
auch schon egal... Ich drücke einmal auf die Klingel, zwei Mal, warte ein
wenig, klingle ein drittes und ein viertes Mal. Keiner da. Ich fasse es nicht.
Ich setze mich auf die Stufen vor dem Haus, stütze den Kopf in die Hände und
weine.
Ich weiß nicht, wie lange ich schon da auf den Treppen sitze, als
ich neben mir eine Stimme höre. „Lili?“ Ich schaue hoch. Es ist Elias. Und
obwohl ich versuche, mein Schluchzen zu kontrollieren, scheitere ich kläglich.
Im ersten Moment steht Elias da wie angewurzelt und starrt mich einfach nur an.
Ist mir egal, was er denkt. Ist mir alles egal. „Mein Gott, Kleines, was ist
denn passiert?“, fragt er schließlich. Ich kriege keinen Ton raus. „Wie lange
sitzt du schon hier? Warum hast du mich nicht angerufen?“ Ich halte mein Handy
hoch. So als würde das alles erklären. Er setzt sich neben mich auf die warmen
Stufen. Die Sonne geht schon unter. Ich muss eine ganze Weile hier gesessen
haben. Langsam legt Elias seinen Arm um mich und ein eiskalter Schauer
durchfährt mich. „Beruhige dich. Versuch ruhiger zu atmen... Komm her zu
mir...“ Er zieht mich an sich, seine Hand auf meiner Wange. Und tatsächlich,
ich werde ruhiger. Nicht nur ruhig, sondern richtig erschöpft liege ich auf
Elias Schulter. Ganz so, als wäre ich nun endlich zu Hause angekommen. „Komm,
Kleines. Lass uns rein gehen. Du zitterst am ganzen Körper. Es wird viel zu
kühl hier auf den Stufen.“ Er steht langsam auf und zieht mich mit sich hoch.
Wie ein nasser Sack hänge ich an ihm, klammere mich fest, so als wollte ich diesen
Moment nicht entwischen lassen. Ich bekomme nur am Rande mit, wie er die Tür
aufsperrt und mich in Richtung Treppen dirigiert. Erst jetzt merke ich, dass
ich zittere. Doch ich friere nicht. Kein bisschen. Ich hebe den Kopf und schaue
ihn an. Meine Augen sind bestimmt total verquollen und rot, mein Gesicht
verschmiert mit Wimperntusche. Elias bückt sich, greift mit dem Unterarm unter
meine Kniekehlen und trägt mich, als wäre ich leicht wie eine Feder, in den
ersten Stock. Alles ist dunkel. Er tastet sich zu seinem Zimmer. Trotz der
Dunkelheit ist erkennbar, dass seine Zimmertüre offen steht. Ganz behutsam
trägt er mich seitlich in den Raum und legt mich sachte auf sein Bett. Als er
aufstehen will, lasse ich ihn nicht los. Er soll nicht gehen. Er soll bei mir
bleiben.
„Geh nicht weg“, sage ich mit zitternder Stimme.
„Ich zünde nur ein paar Kerzen an. Es ist so...“
„Nein, bitte, warte noch“, unterbreche ich ihn.
Und er wartet. Eine ganze Weile sitzen wir eng umschlungen auf
seinem Bett. Ich kann nicht behaupten, dass diese Position besonders bequem
gewesen wäre, und doch habe ich mich noch nie in meinem Leben geborgener
gefühlt.
Es könnten Minuten oder Stunden vergangen sein, bis ich meinen
Griff lockere und er langsam vom Bett aufsteht und einige Kerzen auf dem
Fensterbrett anzündet. Die Flammen
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