Jane Christo - Blanche - 01
anderen Leben träumte sie noch immer. Aber mal ehrlich, wie viele schafften den Absprung, wenn sie erstmal so weit unten angekommen waren? Nella kannte nur eine, der das gelungen war. Renée. Und die hatten die Russen nun einkassiert, um Leo dazu zu bringen, seinen besten Freund ans Messer zu liefern. Dass er Wayne verpfiffen hatte, war eine schlimme Sache, keine Frage, und ihr tat es leid um den stillen Profikiller, der kein schlechter Kerl gewesen war. Dennoch war Leo danach in Nellas Achtung gestiegen, denn auf diese Weise hatte er Renée Treue bewiesen, etwas, das noch kein Mann für Nella getan hatte.
Wo sie gerade bei treulosen Dreckskerlen war – Pierres roter Mercedes hielt soeben vor ihrem Platz. Was hatte der hier verloren? Sie schnaubte, als er nicht mal ausstieg, sondern zweimal kurz hupte. Klar, du Arschloch, hup du nur, ich springe schon.
Nach dem Essen gönnte sich Blanche eine ausgiebige Dusche, danach verließen sie ihr kleines Hotel am Montmartre. Mittlerweile war es nach sieben und stockdunkel. Ihr Ziel war der Boulevard de Clichy. Von dort aus wollte sie weitere Kontakte anzapfen, die sich über die Vergnügungsmeile Richtung Pigalle verteilten. Sie versuchte, sich an den Namen von Waynes Spitzel in der Rue Tardieu zu erinnern, doch er wollte ihr nicht einfallen. Ihre Gedanken wanderten immer wieder zu Beliar, der geräuschlos neben ihr herging. Es gab Männer, die sahen gut aus. Manche waren mächtig, andere wirkten stark. Trotz seiner Narben vereinte Beliar all diese Eigenschaften und ergänzte sie um einen weiteren Punkt, denn er strahlte eine unbestimmte Gefahr aus, die ihn wie eine finstere Vorahnung umgab. Sie kannte eine Menge Killer, aber keiner bewegte sich wie er. Mit der Anmut eines Panthers, lautlos, umarmt von der Nacht. Trotz der Dunkelheit bemerkte sie das beeindruckende Muskelspiel, das sich durch den schwarzen Ledermantel abzeichnete, der wie eine zweite Haut an ihm klebte. Man erkannte auf den ersten Blick, dass er stark und trotz seiner Größe unglaublich schnell war. Dieser Bastard wusste um seine beängstigende Ausstrahlung, benutzte sie wie eine Waffe, um je nach Bedarf Entsetzen zu verbreiten – oder Vertrauen. Er ging nicht durch Räume, er nahm sie ein. Füllte sie aus, wie schwarzer Rauch, der einem die Sinne benebelte, bis man am Ende nur noch ihn wahrnahm. Die eigentliche Gefahr war jedoch nicht körperlich, sie ging von seinen Augen aus, in denen eine finstere Macht lauerte. Rohe Kraft gepaart mit kaltblütigem Zorn, den niemand überleben würde, wenn er einmal die Kontrolle über sich verlieren würde. Anfangs dachte sie, er sei der Mittelsmann eines Auftraggebers, doch inzwischen war ihr klar, dass er weit mehr als ein Laufbursche war. Er war eindeutig … anders.
Und wie er sie ansah! Als wollte er sie bei lebendigem Leibe auffressen und das war nicht metaphorisch gemeint. Außerdem hatte sie festgestellt, dass er manchmal die Luft eigenartig einsog wie jemand, der seinen Schirmchendrink durch einen Strohhalm schlürft. Gewöhnlich, wenn sie stinksauer war, was ziemlich oft vorkam, fühlte sie sich wie von Zauberhand besser, als wäre sie von einer Last befreit. Ihre Wut verrauchte, einfach so. Sie hatte dem zunächst keine Bedeutung geschenkt, weil sie das Ganze nicht mit Beliar in Verbindung gebracht hatte. Doch als er eben behauptete, sich von Emotionen zu nähren – nun ja.
Wenn Beliar kein Mensch war, was sollte er dann sein? Eine Mutation? Ein Alien? Diese Teufelsnummer klang zu abgefahren, es musste eine andere Erklärung geben. Eher würde sie an Vampire glauben als an Dämonen. Hatte er nicht behauptet, sich von Blut zu nähren?
Fakt war, dass sie seine Flügel berührt hatte, auch wenn sie es etwas später für eine Halluzination gehalten hatte. Eine Projektion, ein Hirngespinst – was auch immer, es war schließlich ein bisschen viel auf einmal gewesen. Schwebende Patronen, brennende Küchen, Flügel – herrje! Nichtsdestotrotz hatte sie die Wärme unter ihren Fingerspitzen gespürt. Diese Dinger waren durchblutet und erstaunlich weich. Sie beobachtete Beliar aus den Augenwinkeln. Was bist du?, fragte sie im Stillen.
Beim Café Lux bogen sie links in die Rue Coustou und von dort aus rechts in die Rue Puget. Der Zickzackkurs war Absicht, denn Blanche suchte die engen Gassen nach Informanten ab. In den fünf Jahren ihrer Abwesenheit stand schließlich nicht jeder wie Nella an seinem gewohnten Platz. Auf Höhe der Hausnummer vier der Rue Puget
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