John Medina - 02 - Gefaehrliche Begegnung
war trotz seiner Bemühungen blutverschmiert. Sein einst blütenreines Hemd war schmutzig und hatte braune Blutflecken, er war zerzaust, der Unterkiefer stoppelig. Mit dem schwarzen Stoffstreifen um die Stirn sah er aus wie ein berüchtigter Pirat im Edel-Smoking.
Wenn man sie so sah, war es aus mit ihnen.
Er bog die Drähte zusammen, und das Auto begann zu husten. Dann sprang ein Ventilator an. John ließ sich auf den Fahrersitz gleiten und drückte behutsam aufs Gaspedal. Mit einem durchdringenden Summen wie bei einer Nähmaschine sprang der Wagen an. Ohne die Tür zu schließen, legte er den ersten Gang ein; als er die Kupplung langsam kommen ließ, begann der Wagen vorwärts zu rollen. Fünfzig Meter weiter zog er die Tür zu.
»Wie viel Uhr ist es?«, erkundigte sie sich, auf ihrem Sitz zusammensinkend. Vorsichtig zog sie die Sandalen aus, obwohl sie wusste, dass sie dann wahrscheinlich nicht mehr hineinkommen würde, aber das war ihr egal. Endlich zu sitzen war so schön, dass sie beinahe geseufzt hätte.
Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Kurz nach drei. Wenn wir Glück haben, merken sie erst in zwei, drei Stunden, dass der Wagen weg ist. Wieso versuchst du nicht, ein bisschen zu schlafen?«
»Ich bin nicht müde.« War sie auch nicht. Sie war zwar erschöpft, aber nicht müde. Sie hatte Hunger und vor allem Durst und wünschte sich nichts sehnlicher als ein kaltes Fußbad.
»Wirst du aber bald sein. Wenn dein Adrenalinspiegel sinkt, kannst du nichts mehr machen.«
»Und du? Hast du keinen Adrenalinspiegel?«, fauchte sie, ohne zu wissen, wieso sie auf einmal so gereizt war.
»Ich bin dran gewöhnt. Ich habe gelernt, damit fertig zu werden.«
»Mir geht’s gut.«
Aber das stimmte nicht. Sie warf ihm einen Blick zu. Seine starken Hände lagen locker auf dem Lenkrad, und er sah so ruhig aus, als wären sie auf einem Sonntagsausflug. Vielleicht sah sie ja auch so ruhig aus, aber in ihrem Inneren wütete ein Gefühlssturm.
»Willst du darüber reden?«
»Nein«, lehnte sie entsetzt ab. Sie brauchte gar nicht zu fragen, was ›darüber‹ war. Sie wollte nicht, dass er auf vernünftig und logisch machte und ihr sagte, sie solle das Ganze am besten als einen Teil des Jobs betrachten. Alles was sie wollte, war, das hier so schnell wie möglich hinter sich bringen und mit noch ein wenig Würde aus der Sache herauskommen.
»Das müssen wir aber irgendwann.«
»Nein, müssen wir nicht. Ich will nicht mehr dran denken.«
Er sagte nichts, malmte stumm mit den Zähnen. »Bist du sauer, weil du einen Orgasmus hattest oder weil ich einen hatte?«
Am liebsten hätte sie laut geschrien. Herrgott, warum ließ er sie nicht einfach in Ruhe? »Weder noch. Oder doch.«
»Was für eine präzise Antwort.«
»Wenn du präzise Antworten willst, schlag in einem Lexikon nach.«
Wieder eine Pause, als überlege er, wie weit er gehen konnte. »Also gut, belassen wir es vorläufig dabei, aber später reden wir, verlass dich drauf.«
Sie sagte nichts dazu. Kapierte er denn nicht? Darüber zu reden bedeutete, die Wunde am Bluten zu halten. Aber wie konnte er das verstehen, wenn es für ihn nichts bedeutete?
»Wie weit ist es bis Nizza?«
»Auf der Schnellstraße ein paar hundert Kilometer, über die Berge weniger. Aber die kürzeste Route wäre wahrscheinlich nicht die schnellste, nicht mit dieser Karre. Die hat nicht genug Pferdestärken, um uns schneller als im Kriechtempo über die Berge zu schaffen.«
»Über die Schnellstraße könnten wir also bis halb sieben oder sieben dort sein.«
»Nicht ganz. Wir müssen nochmal anhalten und einen neuen Wagen stehlen.«
»Noch einen?«
»Wir sind noch immer zu nahe bei Ronsards Wohngegend. Er wird von diesem Diebstahl erfahren, sobald er gemeldet wird. Wir müssen diese Karre wieder loswerden.«
»Wo?«
»In Valence, denke ich. Dort suche ich uns was anderes.«
Sie wurden noch zu passionierten Autodieben, wenn das so weiterging, dachte sie. Nun ja, sie hatte sich Aufregung gewünscht. Und John Medina war der aufregendste Mann, den sie kannte; in seiner Gesellschaft kam niemals Langeweile auf. Trotzdem wurde der Gedanke an ihr Zuhause von Mal zu Mal verlockender. Dort könnte sie sich in Ruhe mit ihrer Torheit auseinander setzen, der Torheit, sich in ihn verliebt zu haben. Sie dachte an ihr friedliches Haus, wo alles ganz ihren Wünschen entsprach – bis auf die doppelten Kettenschlösser an sämtlichen Türen und Fenstern.
»Wenn du mir einen Flug besorgen
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