John Wells Bd. 3 - Stille des Todes
Sie verbürgen. Aber falls Markow Ihre Comicbuch-Story durchschaut und Ihnen eine Kugel oder ein ganzes Magazin in den Körper jagt, werde ich keine Träne vergießen. Ich werde mir ein Glas Burgunder einschenken und Shafer sagen, wir sind quitt. Ist das klar?«
»Kristallklar«, erwiderte Wells.
Trotz dieses Vortrags hielt Rosette Wort. Am nächsten Morgen schickte er Wells eine E-Mail, mit der er ihn aufforderte, um 13.30 Uhr an der Eislaufbahn im Eremitage-Garten an der Karetnyj Rjad zu sein. Die Straße lag etwa anderthalb Kilometer nördlich des Kremls. Wells plante ausreichend Zeit ein, um eventuelle Verfolger abzuschütteln. Er fuhr mit drei verschiedenen U-Bahn-Linien, nahm zwei Taxis und ging eine lange Strecke zu Fuß, bis er sicher war, dass ihm niemand gefolgt war. So sicher wie man in der Heimatstadt des vermutlich besten Geheimdienstes der Welt sein konnte.
Die Eislaufbahn im Eremitage-Garten war leicht zu finden. Kinder und Jugendliche zogen zur fröhlichen Musik von Rihanna und den Spice Girls endlos ihre Bahnen. Wieder kam Rosette ein paar Minuten zu spät. War das eine Gegenobservationstechnik oder schlicht unhöflich? Wells hätte es nicht sagen können.
»Gehen wir eislaufen?«, fragte er, als der Franzose endlich da war.
»Leider nein.« Diesmal war Rosette mit dem schweren Wollmantel und der dicken Fellkappe eher unauffällig gekleidet. So wirkte er wie ein Russe, zumindest für Wells.
Sie nahmen ein Taxi und fuhren eine halbe Stunde lang
durch den dichten Verkehr auf der dritten Ringstraße bis in die Nähe eines riesigen Stadions. Dort bogen sie nach links ab, dann nach rechts und hielten am Eingang zu einer Metrostation.
Sie stiegen aus, und Rosette führte Wells zum Eingang eines riesigen Flohmarkts. Überall um sie herum schleppten Frauen schwere Plastiktüten mit wertlosem Plunder. Ihre Gesichter waren schwer, die Haut unter den billigen Fellmützen war grau, ihr Schritt müde. Die Reihen der Stände waren endlos, aber die Auswahl war beschränkt. Jeder Händler bot dieselben stumpfgrauen Pfannen und Töpfe aus hauchdünnem Stahl an, dieselben schäbigen Turnschuhe, deren Farben schon vor dem ersten Schritt verblasst waren, dieselben schlecht sitzenden Jeans mit ihrem viel zu grellen Blau. Hierher gehörte Lenins Grab, nicht vor das GUM.
»Lassen Sie sich vom Ritz-Carlton, dem GUM und dem Bentley-Händler gegenüber dem Verteidigungsministerium nicht täuschen«, sagte Rosette. »Die Mehrheit lebt so wie diese Menschen hier. Vor allem außerhalb von Moskau. Eine Million Russen reißt sich das Geld aus dem Erdölexport unter den Nagel. Ein paar Millionen werden reich, weil sie mit den Dieben Geschäfte machen. Alle anderen saufen und warten auf den Tod.«
»Klingt spaßig«, meinte Wells.
»In Amerika sieht es auch nicht viel anders aus.«
»Waren Sie schon mal in Amerika?«
»Schon gut, darüber reden wir wann anders«, sagte Rosette. »Heute Abend stelle ich Ihnen Roman Jansky vor. Kennen Sie den?«
»Dem Namen nach natürlich.« Jansky war Markows zweiter Mann, ein früherer hoher Spetsnaz-Offizier.
»Ich habe ihn heute Morgen angerufen, um ihm ihr Comic zu erzählen. Die ganze traurige Geschichte. Ich habe behauptet, ich würde Sie aus Beirut kennen, und Ihr Vater wäre einer meiner Informanten gewesen. Ich habe gesagt, ich hätte Ihnen Helosrus empfohlen. Er war nicht besonders interessiert, bis er hörte, dass Sie wahrscheinlich so dumm sind, das Geld mit sich herumzuschleppen. Er will sich heute Abend um dreiundzwanzig Uhr mit Ihnen im Ten Places treffen, aber Sie sollen fünfzigtausend Euro mitbringen. Als Beweis, dass Sie es ernst meinen. Ich glaube, er musste noch nicht mal lachen, als er das sagte, aber am Telefon weiß man ja nie so genau.«
»Im Ten Places?«
»Das ist ein Privatklub im Bezirk Twerskoj. Nicht weit von der Eislaufbahn, an der wir uns getroffen haben. Sehr exklusiv.«
»In Ordnung.«
»Ihnen ist hoffentlich klar, dass er Ihnen vielleicht das Geld abnimmt, das Sie dabei haben, und Sie dann erschießt. Oder mit Ihnen ins Hotel fährt, damit Sie das restliche Geld holen, und Sie dann abknallt.«
Und wenn deinetwegen meine Tarnung aufgeflogen ist, erschießt er mich vielleicht so oder so. Aber das sprach Wells nicht aus. Rosette erwies sich als nützlich, doch Wells fand ihn allmählich genauso unsympathisch wie Vinny Duto.
Sie verließen den Flohmarkt, und Rosette führte Wells zu seinem Auto, einem Opel, den er in der Nähe der Metrostation
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