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Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition)

Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition)

Titel: Jonathan Harkan und das Herz des Lazarus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Ahner
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Jonathan kämpfte sich auf die Beine und klopfte sich den Schnee aus der Kleidung. Zum Atemholen blieb keine Zeit, die Männer waren auf wenige Meter an sie herangekommen.
    »Eliane …«, keuchte er. »Sag mir, dass du weißt, wie es weitergeht … bitte …«
    Sie rang nach Atem. Gelähmt von der herannahenden Gefahr starrte sie in die Ferne.
    »Komm!«, rief sie.
    Schnell krochen sie unter einem Tor hindurch, das zu einem verfallenen Hof gehörte. Hier standen hohe, menschenleere Gebäude, deren Fenster zum Teil zerstört waren. Unter dem Schnee konnte man wild wucherndes Buschwerk erkennen.
    Während die Männer umständlich über den Zaun kletterten, nahm Eliane einen Weg zwischen rostigen Landmaschinen und bedeutete Jonathan, ihren Schritten exakt zu folgen. Sie lief mehrfach im Kreis, legte falsche Spuren und hangelte sich schließlich über einen Zaun hinweg. Auf allen vieren krochen sie durch den Schnee. Sie verließen den Bauernhof und verschwanden hinter der Scheunenwand. Endlich durften sie sich wieder aufrichten.
    »Da lang!« Eliane deutete auf den nahen Waldrand.
    Im hellen Mondlicht waren ihre Fußspuren kilometerweit zu sehen, und Jonathan betete, dass keiner der Männer in ihre Richtung blickte. Zum Glück schien der Trick mit den falschen Spuren zu funktionieren; fluchend und schimpfend suchten die Männer den Hof ab.
    Unmittelbar vor dem Wald, als letztes Zeichen der Zivilisation, lag ein kleines Haus mit Schrebergarten. Eine Arkade aus Sträuchern führte zu einer Laube, die von Kletterrosen umrankt war. Ein verwunschener Ort. Jonathan sah einige Blüten, die trotz des Schnees ihre Köpfe unter der weißen Decke hervorstreckten. Ein Bild, das so unwirklich, aber auch so schön war, dass es ihm unweigerlich Mut einflößte. Riot mochte stark sein, doch auch ihm war es nicht gelungen, die Natur in die Knie zu zwingen.
    »Wer wohnt hier?«, fragte Jonathan.
    »Die alte Johanna. Eine Verrückte, haust hier draußen ganz allein. Sie spricht mit den Tieren und den Bäumen und glaubt, dass im Wald ein unsichtbares Volk lebt.«
    Jonathan musste sich auf die Zunge beißen. War es möglich, dass die alte Frau Kontakt mit den geheimnisvollen Chimerianern gehabt hatte, von denen Cassius gesprochen hatte?
    »Hat sie dir davon erzählt?«, fragte er vorsichtig.
    Eliane zuckte mit den Schultern. »Sie erzählt eine Menge Blödsinn.«
    Zitternd blies Jonathan warme Luft in seine Finger. »Meinst du, sie hat was dagegen, wenn wir uns kurz bei ihr aufwärmen?«
    »Manchmal hast du richtig gute Ideen, Blitzbirne.«
    Prüfend drückte Jonathan die Klinke der Haustür. Zu seiner Überraschung war sie offen. Wohlige Wärme eines Holzofens empfing sie, als sie das Häuschen betraten. Es war klein und behaglich eingerichtet. Zahllose Uhren und bemalte Teller zierten die Wand. Dazwischen hingen ausgestopfte Jagdtiere, die mit gläsernen Augen auf sie herabstarrten. Die alte Johanna selbst saß in ihrem Fernsehsessel, mit geschlossenen Augen und einem Ausdruck von Frieden auf dem Gesicht. Sie wirkte gepflegt und keineswegs wunderlich, eher gutmütig. Ihr langes schlohweißes Haar hatte sie zu einem Dutt hochgesteckt. Ruhig und friedlich saß sie da, die Hände über dem glatten Rock gefaltet. Zuerst glaubte Jonathan, dass sie schlief, so wie alle Dorfbewohner. Doch etwas unterschied sie von den anderen. Ihr fehlte etwas, auch wenn Jonathan unmöglich sagen konnte, was es war. Vorsichtig berührte er ihre Hand, um ihren Puls zu ertasten.
    Er fand keinen.
    »Sie ist tot«, sagte er leise.
    Elianes Augen weiteten sich erschrocken.
    Die alte Frau wirkte so friedlich, als ob sie ihr Schicksal mit einem Lächeln empfangen hätte. Jonathan spürte eine tiefe Traurigkeit in sich aufkeimen. Für einige Sekunden standen sie vor dem Sessel und schwiegen. Die zahllosen Uhren, Standuhren, Kaminuhren und Kuckucksuhren tickten bedächtig vor sich hin. Jonathan spürte Elianes Hand auf seiner Schulter, die ihn sanft aus seinen Gedanken riss.
    »Wir müssen weiter«, sagte sie.
    Es fiel ihm nicht leicht, doch er löste sich und folgte ihr hinaus in die Kälte. Hinter dem Haus lag der Wald und darin die Dunkelheit, die sie beide verschlucken würde.
    Die Stimmen der Männer, die sich durch den Schnee kämpften, zerrissen die Stille der Nacht. Darunter das triumphierende Kichern von Seppuku: »Hab ich es euch nicht gleich gesagt? Mir entwischt niemand!«

Achtzehntes Kapitel
Der Ring
    Dornenreiche Brombeersträucher bewachten die Grenze des

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