Judith
wieder in die Hände dieses Mannes geriet. Und wenn Chatworth sie nicht tötete, würde Lilian es tun.
Er sah sich in seinem kleinen Reich um. Hierher konnte niemand so leicht gelangen. Und wenn er vorsichtig genug war, würde er Constance hier versteckt halten können, bis sie gesund war. An alles weitere wollte er erst denken, wenn es nötig war.
Jocelin hob Constances Kopf wieder an und flößte ihr noch von dem verdünnten Wein ein. Doch es rann nur wenig davon durch ihre Kehle.
»Jocelin? « schrie plötzlich eine Frauenstimme von unten herauf.
Er fluchte. Warum konnten ihn die Weiber nicht in Ruhe lassen?
»Wir wissen, daß du da oben bist! Wenn du nicht kommst, kommen wir rauf! «
Jocelin ging zu der Treppe und lächelte Blanche und Gladys an. »Was wünschen die beiden Ladys? « fragte er und deutete eine Verbeugung an.
Gladys kicherte. »Sollen wir das heraufschreien, damit alle es hören? «
Jocelin grinste. Er warf einen Blick zu Constance hin und kletterte dann die Leiter hinunter. Er legte den Mädchen die Arme um die Taillen. »Könnt ihr für mich bei der Köchin nicht mal ein gutes Wort einlegen? Ich habe Hunger. «
Die nächsten vier Tage waren für Jocelin die Hölle. Er hatte noch nie ein Geheimnis hüten müssen, und er fand es ziemlich aufreibend. Am neugierigsten war die Frau des Stallknechts.
»Ich weiß nicht, was du da oben verbirgst. Ich kann es mir aber denken. Die Frage ist nur, warum du sie versteckst. «
Jocelin wollte etwas antworten. Doch sie hob abwehrend die Hand. »Laß nur. Keiner liebt Geheimniskrämerei mehr als ich. Ich werde dir helfen, dir die anderen Weiber vom Halse zu halten. Das ist bei der Menge nicht leicht. Du bist ein ganz Schlimmer und machst mehr Frauen glücklich als drei Männer zusammen. «
Jocelin machte sich Sorgen um Constance. Man sah es ihm an. Jeder merkte, daß ihn etwas bedrückte. Nur Lilian nicht. Sie forderte immer mehr Liebesnächte.
Jocelin mußte ihr oft auf der Laute Vorspielen, und sie befahl ihn jede Nacht zu sich ins Bett. Ihre Leidenschaft trieb ihn an den Rand der Erschöpfung. Aber was noch schlimmer war: Er mußte sich ständig Lilians Haß auf Judith Revedoune anhören.
Er sah sich jedes Mal, wenn er in sein Versteck auf dem Heuboden stieg, vorsichtig nach allen Seiten um. An diesem Tag fand er Constance zum ersten Mal bei vollem Bewußtsein.
Tagelang hatte sie im Fieber gelegen. Jocelin waren ihr Körper, ihre Nähe vertraut geworden, aber es war ihm nicht in den Sinn gekommen, daß er für sie ein Fremder war.
Sie zog zitternd die Decke bis zum Hals und sah ihn ängstlich an.
Jocelin kniete neben ihr nieder. »Wie schön, daß es dir besser geht. « Er nahm ihr Gesicht in die Hände und prüfte die rasch heilenden Wunden. Er wollte ihr die Decke herunterziehen, um zu sehen, ob die Verletzungen an ihrem Körper auch besser geworden waren.
»Nein! « flehte sie. »Wer… wer bist du? «
»Jocelin Laing. Du hast mich doch bei Lady Lilian gesehen. Erinnerst du dich nicht? «
Als er Lilian erwähnte, wurde Constances Blick ängstlich. Jocelin zog sie an sich, aber sie versuchte sich zu wehren. Sie gab auf, weil sie zu schwach war.
»Du bist hier bei mir in Sicherheit. Niemand wird dir etwas tun… «
»Lord Edmund«, flüsterte sie.
»Er weiß nicht, daß du hier bist. Niemand weiß davon. Nur ich. Er… er glaubt, daß du tot bist. «
»Tot? Aber ich… «
»Reg dich jetzt nicht auf. Laß uns später über alles reden. Werde erst mal gesund. Ich habe dir eine kräftige Suppe mitgebracht. Kannst du die essen? «
Sie nickte. Das Zittern ließ jedoch nicht nach. Jocelin hielt sie ein Stück von sich ab. »Kannst du allein sitzen? «
Wieder nickte Constance. Jocelin betrachtete mitfühlend ihr schmales Gesicht. In ein paar Tagen und bei kräftigem Essen wird es ihr besser gehen, hoffte er.
Er hatte einiges Geschick entwickelt, warmes Essen aus der Küche mitzunehmen. Niemand schien sich etwas dabei zu denken, daß er seine Laute über der Schulter trug und das Lederfutteral in den Händen. Jeden Abend füllte er es mit Suppe, damit die Kranke nicht noch hinfälliger wurde.
Er fütterte Constance wie ein Kind, denn sie konnte den Löffel nicht allein halten. Mitten im Essen schlief sie vor Erschöpfungein.
Als sie erwachte, saß Jocelin neben ihr. Er kroch zu ihr unter die
Decke und hielt sie in seinen Armen. Es regten sich Gefühle in ihm, die ihm bis jetzt unbekannt gewesen waren. Es war aufkeimende Liebe zu diesem
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