Judith
sie, wie die Frau Smiton genau musterte. »Laß meine Kleidertruhen abladen und folge mir dann. John… «
Sie brach ab, als sie hörte, wie er bereits Befehle an die Männer gab. Sie sollten in das Lager vor der Burg zurückkehren.
Judith ritt über die Zugbrücke. Sie hielt sich sehr aufrecht und ließ sich nicht anmerken, daß sich die Gedanken in ihrem Kopf überschlugen. Werde ich diese Burg lebend wieder verlassen?
Walter Demari wartete darauf, ihr beim Absteigen zu helfen. Judith erkannte, daß der so freundliche Mann doch einige Schwächen hatte, die sie beim ersten Mal übersehen hatte.
Eine zu große Nase, schmale, grausam wirkende Lippen und seltsam ausdruckslose Augen.
Er starrte sie an. »Ihr seid noch schöner, als ich Euch in Erinnerung habe… «
Judith hatte sich an diesem Morgen mit ganz besonderer Sorgfalt angekleidet. Das Gewand aus braunem Samt war am Saum mit Goldbordüren verziert. Aus den geschlitzten Ärmeln quoll blutrote Seide. Es hatte einen sehr tiefen Ausschnitt, der viel von ihren Brüsten zeigte. Während sie ein paar Schritte machte, hob Judith den Saum leicht an und gab damit einen Blick auf das mit Pelz verbrämte Seidengewand darunter frei.
Judith lächelte Demari strahlend an. »Ihr macht mich verlegen, Lord«, flüsterte sie.
Walter war begeistert von ihrem scheuen Blick. »Ihr werdet müde sein und eine Erfrischung brauchen. Ich hätte ein Mahl bereiten lassen, wenn ich gewußt hätte, daß so hoher Besuch ins Maus steht. «
Ich werde die Rolle der scheuen Frau weiter spielen, nahm Judith sich vor. Das scheint ihm zu gefallen. Sie senkte den Kopf und bat: »Darf ich meine geliebte Mutter sehen? «
Walter konnte den Blick nicht von ihr abwenden. Was für herrliche Wimpern sie hatte! Ihre Haut sah aus wie Samt.
John Bassett trat vor. »Meine Herrin möchte ihre Mutter sehen«, sagte er. Seine Stimme klang zwar ruhig, aber Judith merkte, daß er sich bezwingen mußte.
Demari hatte keinen Blick für ihn. Er sah Judith unverwandt an. Doch Arthur Smiton erkannte Johns Stärke. Diesem Mann durfte man in der Burg nicht zuviel Freiheit lassen.
»Gewiß, Lady Judith«, sagte Walter und reichte Judith den Arm. Er führte sie ins zweite Stockwerk.
Judith sah sich um. Alles war schmutzig und verwahrlost. Überall hingen Spinnengewebe. Sie sah dicke Staubschichten und bröckelnde Mauern.
Gewaltsam zwang sie sich zur Ruhe, als sie das Zimmer betrat, in dem ihre Mutter sich befand. Der Raum wurde nur von einer Ölfunzel erhellt.
»Mutter! « Judith warf sich neben Helen Revedounes Stuhl auf die Knie.
In sprachlosem Staunen sah die Frau sie an. Dann zog sie ihr Kind in die Arme. »Judith… « Es dauerte eine Weile, bis ihre Tränen versiegten. »Geht es dir gut, mein Kind? «
Judith nickte. Dann sah sie auf die Männer. »Dürfen wir für eine Weile allein sein? «
»Gewiß! « Walter wandte ich zur Tür. Dann drehte er sich zu John um. »Du gehst auch! «
»Nein, ich lasse die Ladys nicht allein. «
»Warum läßt du mich mit meiner Mutter nicht allein? « fragte Judith, als Smiton und Demari fort waren.
John ließ sich in einem Sessel nieder. »Ich bleibe«, erklärte er.
Judith zuckte die Schultern. »Er ist unwahrscheinlich störrisch«, meinte sie zu ihrer Mutter.
»Herrin, Ihr könnt es mit jedem noch so störrischen Bullen aufnehmen«, brummte John.
Judith wollte ihn zurechtweisen, aber da hörte sie ihre Mutter lachen. »Er hat recht, mein Kind. « Helen strich ihrer Tochter übers Haar. »Aber nun sage mir, wieso du hier bist. «
Wieder warf Judith einen Blick zu John hin. Sie zögerte.
»Sprecht nur. Kein Wort, das ich höre, wird an die Ohren eines anderen gelangen«, knurrte John.
Judith begann zu sprechen, immer hastiger. Sie sprach von Gavin und ihren widerstreitenden Gefühlen für ihn.
»Ich hasse ihn und bewundere ihn. Er stößt mich ab und zieht mich an. Er ist so stark und… Das kann doch nicht Liebe sein, was ich für ihn empfinde. Er ist selten freundlich zu mir. Nur wenn ich mit ihm im… « Sie brach ab und biß sich auf die Unterlippe.
»Wenn ihr im Bett seid? « fragte Helen lächelnd.
»Ja. « Judiths Wangen röteten sich.
»Ich weiß, wie dir zumute ist. Meine Gefühle für deinen Vater waren auch so zwiespältig. Und ich kann dir nicht sagen, ob man das Liebe nennen kann, mein Kind. «
Sie schwiegen eine Weile und starrten in das flackernde Licht der Ölfunzel.
»Und jetzt bin ich hier, um meinen Gemahl zu befreien, auch wenn ich
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