JULIA COLLECTION Band 11
ihr bewusst, wie kompliziert und einengend es war, ein Lucien Tyrone zu sein.
Das Steakhaus war nur schwach besucht, doch die angrenzende Bar war derart überfüllt, dass die einzige Kellnerin voll ausgelastet war.
Die Steaks waren gut, aber Luc hatten es vor allem die knusprigen Zwiebelringe angetan. Er erklärte Avis, dass er seit seiner Studienzeit keine mehr gegessen hatte. Genüsslich verzehrte er die ganze Portion mit den Fingern und leerte sein Bierglas. Währenddessen bemühte er sich, die Aufmerksamkeit der Kellnerin zu erregen, um Nachschub zu bestellen. Erst als das geschafft war, nahm er sein Steak in Angriff.
Avis beobachtete erfreut, wie er mit dem Fuß zum Takt der Countrymusic wippte und zur Abwechslung einmal die Einheimischen beobachtete, anstatt selbst angegafft zu werden. Das änderte sich jedoch, als Heston Witt das Lokal betrat.
Der Bürgermeister hatte in letzter Zeit beträchtlich zugelegt, und seine Pausbacken und die kleinen, boshaften Augen erinnerten an ein Schweinchen. Sobald er Avis erblickte, steuerte er schnurstracks auf sie zu.
Luc entging nicht, dass sie sich innerlich verkrampfte, obwohl sie nach außen hin Gelassenheit wahrte. „Was hast du denn?“
Bevor sie antworten konnte, hatte Heston sie erreicht. „Welch seltener Anblick! Ihr Erbinnen lasst euch ja hier nicht mehr oft blicken. Wir sind jetzt wohl unter eurer Würde, wie?“
Das war für Avis zutreffend, was ihn anging, aber sie schwieg.
Luc erkundigte sich: „Mit wem haben wir denn die Ehre?“
Heston richtete sich zu voller Größe auf. „Heston Witt, der Bürgermeister. Ich glaube nicht, dass ich Sie kenne.“
Luc erhob sich. „Lucien Tyrone.“
„Der griechische Magnat! Du meine Güte.“ Heston ergriff Lucs Hand und schüttelte sie heftig. „Ich habe gelesen, dass Sie in Fort Worth sind, aber was tun Sie denn hier in unserer kleinen Stadt?“ Er wandte sich an Avis. „Tja, mein Fräulein, dank meines idiotischen Onkels sind Sie über meinen Rücken ganz schön aufgestiegen.“ Plötzlich winselte er, befreite sich mit vorwurfsvollem Blick aus Lucs Griff und sagte dann mit einem verkrampften Lächeln: „Mr. Tyrone, es ist eine Ehre, Sie in unserer Gemeinde begrüßen zu dürfen, ungeachtet …“ Er verschluckte den Rest des Satzes und schüttelte mit schmerzverzerrter Miene seine Hand. „Verzeihen Sie mir, dass ich Ihr Dinner gestört habe.“
Er wandte sich ab, doch dann drehte er sich noch einmal um. „Bitte wenden Sie sich ohne Zögern an mich, Sir, falls ich Ihnen irgendwie zu Diensten sein kann.“ Mit einem bedeutungsvollen Seitenblick zu Avis erklärte er: „Ich kann Ihnen alle einschlägigen Informationen geben. Da gibt es gewisse Belange, deren Sie sich vielleicht nicht bewusst sind.“
Luc lächelte gelassen. „Ich bin mir bewusst, Herr Bürgermeister, dass Sie ein roher, engstirniger Provinzler sind, der nicht weiß, wie man eine Lady in der Öffentlichkeit behandelt. Mehr brauche ich nicht zu wissen.“
Heston rang nach Atem, erblasste und watschelte davon, so schnell ihn seine kurzen Beine trugen.
Luc setzte sich wieder. „Charmanter Bursche. Soll ich ihn ruinieren?“
„Ja“, erwiderte sie aufrichtig. „Nein, lieber nicht. Er ist nur verbittert, weil Edwin Searle, der sein Onkel war, ihm nur die Familienranch vermacht hat und meine Freundinnen und ich das ganze Geld geerbt haben. Heston ist gehässig und gemein, aber nicht wichtig. Lass es einfach gut sein. Ich muss in dieser Stadt leben, und eine Fehde mit dem Bürgermeister macht es mir nicht leichter.“
„Na gut. Wie du möchtest.“
Die Zwiebelringe kamen, nicht aber das Bier.
„Soll ich die Kellnerin rufen?“, bot Avis an.
„Nein. Sie ist sowieso schon überarbeitet. Sonst hätte sie es nicht vergessen“, wehrte Luc ab.
Avis schob ihren Stuhl zurück. „Ich hole dir eins von der Bar.“
„Ich gehe selbst. Du sollst mich nicht bedienen.“
„Das macht mir nichts aus.“
„Mir aber. Soll ich dir was mitbringen?“
Sie schüttelte den Kopf, und Luc machte sich auf den Weg.
Im Schankraum war es laut, schummrig und überfüllt. Luc bestellte sich ein Bier beim Barkeeper und hielt kurz darauf eine eiskalte Flasche in der Hand. Er bezahlte und wollte gerade in den Speiseraum zurückkehren, als er einen der Männer am Tresen sagen hörte: „Das ist der reiche Pinkel, den sich die Lorimer geangelt hat.“
Sein Nebenmann lachte. „Der Bürgermeister sagt, dass sie von einer Ehebrecherin zu einer Mätresse
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