JULIA EXTRA BAND 0263
bereit und lag dann noch Stunden wach. Sie erwog ernsthaft, ob sie sich in Ginos Zimmer schleichen sollte, um ihm zu sagen, dass sie es sich anders überlegt hatte.
Sie tat es nicht.
Am nächsten Morgen erfuhr sie von Maria, dass Ginos Schwägerin am Abend zuvor aus Rom gekommen war und das Wochenende hier verbringen wollte. Lisette Falconi hatte ihre Tochter Nicoletta mitgebracht, die Rox beim Frühstück kennenlernte und der sie nur wenige Worte entlocken konnte. Lisette war offensichtlich noch im Bett. Das Kind wirkte launisch und in sich gekehrt, und sie schien bereits mit den typischen Teenagerhormonen zu kämpfen, obwohl sie gerade erst zwölf geworden war.
Sie wollten bis Dienstagmorgen bleiben. Ihre Ankunft hätte Rox nicht aus der Bahn werfen sollen, aber irgendwie tat sie es doch, denn instinktiv wusste sie, dass Gino nun nicht noch einmal auf sein Angebot, sie zu seiner Geliebten zu machen, zurückkommen würde.
Da sie aber sowieso nur in ihren allerschwächsten Momenten überhaupt darüber nachgedacht hatte, war dies ein neuer Höhepunkt an unlogischem Verhalten. Dem konnte sie wohl nur dadurch entfliehen, dass sie so viel Zeit wie möglich damit verbrachte, sich mit Pia im Garten zu verstecken.
„Ich habe dir am Donnerstag gesagt, dass ich vielleicht kommen würde, und gestern Nachmittag habe ich angerufen, um definitiv Bescheid zu geben“, erklärte Lisette Gino beim Frühstück. Sie lächelte entschuldigend. „Maria sagte, dass du gerade im Moment weggefahren warst.“
Da er sie stets aufgefordert hatte, jederzeit zu kommen und ihm zudem klar war, dass er ihr am Donnerstag am Telefon ohnehin nicht richtig zugehört hatte, konnte Gino jetzt schlecht protestieren.
Und er wusste auch nicht so genau, warum es ihn überhaupt störte. In der Vergangenheit war er für Lisettes Hilfe dankbar gewesen.
„Es tut gut, dich zu sehen, Lisette“, sagte er laut und fragte sich innerlich noch immer, warum er diese Abwehr verspürte. „Hast du irgendwelche Pläne? Oder Nicoletta?“
„Ich möchte natürlich den Garten sehen. Machst du nach dem Frühstück eine Tour mit mir? Du und diese schüchterne kleine Amerikanerin? Ich nehme nicht an, dass die Gärtner heute arbeiten?“
„Nein, das tun sie nicht, und der Garten sieht noch sehr unfertig aus. Man braucht noch eine Menge Fantasie, aber natürlich werde ich ihn dir zeigen.“
„Wie geht es der kleinen Amerikanerin? Wird sie ihren Qualifikationen gerecht?“
„Zunächst einmal ist sie nicht klein.“
„Oh, du weißt doch, was ich meine, Gino. Ich habe sie nur einmalgetroffen, hier mit Francesco, aber irgendwie muss ich sie furchtbar eingeschüchtert haben, denn die einzigen Male, die sie nicht zurückzuckte wie eine Maus, war, wenn sie über den Garten sprach. Dann, ja, konnte ich verstehen, was Francesco in ihr sah. Sie verfügt über eine wunderbare kreative Energie, und sie ist offensichtlich sehr intelligent, aber trotzdem tat sie mir leid.“
„Nun, ja, das ist Geschichte.“
„Die Sache mit Francesco?“
„Der Plan hat sich geändert.“ Kurz umriss er den Zusammenbruch von Dr. Madison und die neue Rolle ihrer Zwillingsschwester in dem Projekt. Obwohl Lisette die Augenbrauen hob, verharmloste er Roxannas ursprüngliche Täuschung und präsentierte den veränderten Plan voller Enthusiasmus.
Lisette war offensichtlich beruhigt und ließ das Thema fallen. „Und wie geht es meinem kleinen Liebling Pia? Ich nehme an, sie vermisst Miss Cassidy.“
Die beiläufige Bemerkung machte Gino plötzlich stutzig. Pia hatte Miss Cassidy nicht ein einziges Mal erwähnt, seit sie hier waren.
Ihm gegenüber jedenfalls nicht.
Er musste Maria und Roxanna fragen …
Er würde Miss Cassidy kündigen, sobald er sie erreichte, denn sein kleines Mädchen sollte den Menschen vermissen, der sich täglich um sie kümmerte. Wenn Pia nicht so empfand, dann war Miss Cassidy die falsche Person für diese Aufgabe.
„Gino?“, fragte Lisette.
„Oh, tut mir leid, ich war in Gedanken.“
„Nicoletta wird wie eine große Schwester mit ihr spielen. Hat sie in letzter Zeit viele ihrer Wutanfälle gehabt?“
„Nein, schon seit Tagen keinen mehr. Sie hat sich hier so gut eingelebt – Roxanna hat ihr Klavierunterricht gegeben –, ich denke ernsthaft darüber nach, sie nicht wieder nach Rom zu bringen.“
Aber wie soll ich das machen?
Wieder verlor er sich in Gedanken. Er war sich zwar des geduldigen, schwesterlichen Blicks von Lisette bewusst, aber er konnte
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