JULIA EXTRA BAND 0263
Jane an ihre Großmutter, die zusammen mit ihrem Mann seit Jahrzehnten das Herzstück der Familie bildete. Was würde diese standhafte Dame dazu sagen, wenn sie erführe, dass ihre Lieblingsenkelin Luftschlösser baute?
Schließlich war Jane bei ihrem Wohnblock angekommen und fuhr mit dem Fahrstuhl in den dritten Stock hinauf. Sobald sie auf den Treppenabsatz hinausgetreten war, wusste sie, dass irgendetwas nicht stimmte. Ein Lichtstreifen schimmerte unter ihrer Wohnungstür hervor, und sie war sich sicher, dass sie das Licht nicht angelassen hatte. Vorsichtig drehte sie den Schlüssel im Schloss.
„Da bist du ja endlich“, ertönte eine vertraute Stimme.
„Sarah!“
Die pummelige Gestalt ihrer Großmutter erhob sich vom Sofa und kam mit ausgestreckten Armen auf sie zu. „Entschuldige, dass ich deine Wohnung betreten habe, obwohl du nicht da warst, Liebes, aber ich wusste nicht, wann du wiederkommen würdest. Dein Nachbar hatte einen Ersatzschlüssel und hat mich eingelassen.“
„Das ist vollkommen in Ordnung. Du weißt, dass du jederzeit willkommen bist, aber ich wünschte, ich hätte gewusst, dass du kommst. Dann hätte ich alles für dich vorbereiten können.“
„Du brauchst dir meinetwegen keine Umstände zu machen. Ein Dach, ein Bett und eine Brotrinde ist alles, was ich brauche.“
Jane unterdrückte ein Lächeln über diese theatralische Ausdrucksweise. Sie hoffte, dass Sarah nicht irgendetwas über die geplante Feier zur goldenen Hochzeit herausgefunden hatte. Es wäre zu schade, wenn die Überraschung verdorben würde.
Dann bemerkte sie plötzlich einige Koffer und bekam einen Schreck. „Sarah, was ist das? Was ist passiert?“
Die kleine Frau richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und reckte kampflustig das Kinn.
„Ich habe deinen Großvater verlassen.“
4. KAPITEL
Im ersten Augenblick konnte Jane es gar nicht fassen. „Du hast was?“, wiederholte sie wie betäubt.
„Ich habe ihn verlassen. Seit Jahren habe ich es angekündigt, und nun habe ich es wirklich getan.“
„Aber – du kannst ihn nicht verlassen.“
„Warum nicht?“
„Nun ja – zum einen bist du über siebzig. Und zum anderen bist du fast fünfzig Jahre mit ihm verheiratet.“
„Das brauchst du mir nicht zu erzählen. Fünfzig Jahre, in denen ich diesem albernen Mann dabei zugehört habe, wie er wieder und wieder dieselben Witze erzählte. Ich weiß nicht, wie ich das ertragen habe.“
„Aber was ist denn passiert, dass du dich so plötzlich entschieden hast?“
„Wir hatten gestern Abend Gäste zum Essen, und er erzählte ihnen wieder die Geschichte mit dem Kaninchen. Da wusste ich plötzlich, dass ich die Wände hochgehen würde, wenn ich mir das noch ein einziges Mal anhören müsste. Also habe ich heute meine Koffer gepackt und bin gegangen – das hätte ich schon vor Jahren tun sollen. Es ist nie zu spät, sein eigenes Leben zu leben.“
Jane entspannte sich etwas. Wenigstens hatte es wohl keinen großen Streit gegeben. „Lass uns zu Abend essen“, meinte sie. „Während das Essen kocht, richte ich das Gästezimmer für dich her, und dann unterhalten wir uns in Ruhe.“
„Es macht dir doch nichts aus, dass ich mich bei dir einquartiert habe, Liebes?“, fragte Sarah.
„Du kannst so lange bleiben, wie du willst. Ich kann es nur noch gar nicht fassen. Weiß Andrew, wo du bist?“
„Es geht ihn gar nichts an, wo ich bin“, verkündete ihre Großmutter rebellisch. „Und dass du ihn ja nicht anrufst. Ich bin entkommen, und ich will mir das nicht verderben lassen.“
„Entkommen?“ Jane war verblüfft. „Das meinst du doch nicht ernst.“
„Jetzt fang du nicht auch noch an, mir zu sagen, was ich meine. Das hat er auch immer getan. Ich sagte ‚entkommen‘ und ich meinte ‚entkommen‘. Versuch du einmal, fünfzig Jahre mit ein und demselben Mann zusammenzuleben, und sieh, ob es dir nicht wie eine Gefängnisstrafe vorkommt.“
„Aber du liebst Andrew doch. Oder nicht?“
„Ich habe nicht gesagt, dass ich ihn nicht liebe“, erklärte Sarah geduldig. „Aber momentan kann ich seinen Anblick einfach nicht mehr ertragen.“
Jane öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Das war zu viel für sie. Es kam ihr vor, als sei ihre stabile, geordnete Welt nun gänzlich auf den Kopf gestellt worden.
Während sie eine leichte Mahlzeit einnahmen, versuchte sie, mehr herauszufinden. „Was hat Andrew gesagt, als du gegangen bist?“
„Gar nichts. Er war nicht da. Ich habe ihm eine Nachricht
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