Julia Extra Band 0295
weiter bedrängt und nach Antworten, Gründen und Therapien geforscht. Er war zielstrebig und entschlossen gewesen. Konnte man das nicht ebenfalls als eigensinnig bezeichnen?
Seine Rolle bei der ganzen Prozedur war auf die Lieferung von Spermien beschränkt gewesen. Peinlich, das ja. Aber nicht zu vergleichen mit den endlosen Injektionen, Blutabnahmen und Bauchspiegelungen, die Reese über sich hatte ergehen lassen müssen.
Und dann die Fehlgeburten. Duncan spürte erneut den Schmerz, der unter seinem Brustbein im Takt mit seinem Herzen pulsierte. Er ging nie ganz fort.
„ Sie hat die Nase endgültig voll“, sagte seine Mutter verärgert. „Und was ist mit dir? Interessiert es sie nicht, was du dir wünschst?“
Das war auch seine Antwort immer gewesen. Zum ersten Mal klang sie in seinen Ohren schal.
„Weshalb lässt du unseren Sohn nicht endlich ausreden und uns seine Neuigkeit mitteilen, Louise“, mischte sich Grayson diplomatisch ein.
Seine Frau schnaufte verärgert und griff nach ihrem Martini.
Duncan hatte das Foto des Babys mitgebracht und zog es aus der Hemdtasche. Das kleine Gesicht blickte zu ihm auf und verwirrte seine chaotischen Gefühle noch stärker.
„Die Agentur hat gestern angerufen und uns mitgeteilt, dass eine leibliche Mutter Reese und mich als Adoptiveltern für ihr Kind ausgesucht hat. Es ist ein Baby – ein Junge. Er ist erst wenige Monate alt.“
Geistesabwesend strich er mit dem Zeigefinger über eine Ecke des Fotos und wieder zurück. Das leise Klicken des dicken glänzenden Papiers war das einzige Geräusch im Raum.
„Adoption?“, fragte sein Vater endlich. Es klang so verblüfft, als hätte er nie von dieser Möglichkeit gehört.
„Ja, Vater.“ Duncan lachte gequält. „Und weißt du was? Ich könnte schwören, dass das Baby Ähnlichkeit mit Reese hat.“
Er hielt das Foto erst seiner Mutter und dann seinem Vater hin. Nur Grayson Newcastle beugte sich vor, um besser sehen zu können. Doch keiner der beiden griff danach. Seine Mutter rührte mit einem Kunststoffstäbchen in ihrem Martini, auf das zwei dicke Oliven gespießt waren.
„Und was stimmt bei ihm nicht?“, fragte sie.
„Er ist völlig in Ordnung.“
„Niemand gibt ein perfektes Kind weg“, antwortete sie. Dasselbe hatte sie schon ein Dutzend Mal gesagt. Ein Teil von ihm hatte ihr stets zugestimmt. Jetzt war er sich nicht mehr sicher.
„Was ist denn ein perfektes Kind?“ Die Frage war an niemanden speziell gerichtet. Duncan steckte das Foto in seine Hemdtasche zurück und ließ seine Hand einen Moment dort liegen. Ihm entging nicht, dass dies die Stelle genau über seinem Herzen war. „Könnt ihr mir sagen, wer solch ein Kind hat?“
„Du weißt, was ich meine.“
Wusste er das?
„Es ist eine andere Gesellschaftsschicht als unsere, die sich gezwungen sieht, ein leibliches Kind wegzugeben“, fuhr seine Mutter fort. Sie hatte aufrichtig gesprochen, aber mit einem Anflug von Arroganz.
„Und es ist eine andere Gesellschaftsschicht, die sie adoptiert“, ergänzte Duncan. Es hatte eine spöttische Bemerkung sein sollen, doch seine Mutter nickte zustimmend.
Sein Vater schwieg eisern. Duncan hätte nicht sagen können, weshalb er derart enttäuscht war. Schließlich hatte er diese Reaktion seiner Eltern erwartet. Überraschungen gab es hier nicht.
„Ich muss gehen“, sagte er, stand auf und strich die Vorderseite seiner Kakihose glatt. „Morgen ist ein großer Tag. Wir werden das Baby zum ersten Mal sehen. Ich wollte nur kurz vorbeikommen und euch die Nachricht persönlich bringen.“
„Kannst du ihr das nicht wieder ausreden?“, fragte seine Mutter.
„Nein.“
Will ich das überhaupt noch?, überlegte er und erinnerte sich an Reeses ehrfürchtige Miene am Nachmittag. Dann schluckte er trocken, denn seine eigene Erregung fiel ihm ein. Das war wegen Reese, sagte er sich.
Obwohl seine Eltern ihn nicht darum baten, erklärte er: „Ich rufe euch morgen an und erzähle euch, wie es gelaufen ist.“
4. KAPITEL
Reese stand im Mantel am Fenster, den Schal locker um den Hals gewickelt und die Tasche über die Schulter geschlungen, und wartete auf Duncan. Er hatte sich nicht verspätet. Trotzdem war sie besorgt. Nein, nicht besorgt, verbesserte sie sich. Sie war sicher, dass er kommen würde und sie sich anschließend gemeinsam auf den Weg machen würden. Sie war voller Erwartung, und das war neu für sie. Freudige Erwartung war ein Luxus, den sie sich jahrelang nicht gestattet hatte.
Sie
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