Julius Eichendorff 02 - Nomen est Omen - Eifel Krimi
Sonner ging es augenscheinlich nicht gut, und er versuchte, Informationen aus ihr herauszubekommen, einen Blick in ihr Privatleben zu werfen. Aber ohne Aufklärung konnte es keine Heilung geben für die Wunde, die der Mord in den Club gerissen hatte. Heilung schmerzte.
»Sie scheinen nicht für Klärung sorgen zu wollen.«
Sie stoppte ihr Spiel. »Ich bin niemandem Rechenschaft schuldig. Und was die Leute denken, ist mir egal.«
»Führen Sie eine glückliche Ehe?«
Sie ohrfeigte ihn.
»Es tut mir Leid«, sagte Julius.
Susanne Sonner begann zu weinen. »Gehen Sie, bitte. Es muss Ihnen nicht Leid tun, Sie sagen wenigstens offen, was Sie denken. Andere reden gar nicht, andere lassen mich allein.« Sie wandte sich ab. »Es gab keine Affäre. Wir waren Freunde. Gute Freunde. Die sind selten, Herr Eichendorff, die sind sehr, sehr selten.«
Julius nickte, er wusste, dass meist eine Hand reichte, um sie aufzuzählen.
»Ich weiß noch, als wir mal vor Klaus’ Haus standen. Da hat er gesagt, die Zahl der guten Bekannten in seinem ganzen Leben sei noch nicht einmal so groß wie seine Hausnummer.«
126, dachte Julius, das war Grads Hausnummer gewesen. Was für eine merkwürdige Aussage.
»Er war mein einziger …« Sie rannte davon, und Julius verfluchte sich selbst.
Dann begann sein Hirn zu arbeiten. Hatte er 126 gute Bekannte? Sicher nicht, wer hatte schon so viele? Und Freunde erst recht nicht. 126 Freunde, 126 wirkliche Freunde … Julius sprach ein Eichendorff-Zitat vor sich her, das zu seinen liebsten gehörte: »Unsichtbar geschwungne Brücken / Halten Lieb und Lieb vereint / Und in allen hellen Lebensblicken / Grüß ich fern den lieben Freund.«
Einen von 126 …
Wieso kaute sein Hirn diese Zahl so wieder?
Es fiel ihm ein.
Zurück am Herd war Julius froh, dass es schneite. Der Schall der Landskroner Straße wurde von den dicken Flocken verschluckt, die Küche war das stille Auge des Orkans. Er hätte Anna anrufen müssen, um ihr zu sagen, was er herausgefunden hatte. Er hätte zu Steve Reifferscheidt fahren müssen, um ein paar Antworten zu bekommen. Was dieser über Barbara Grad wusste, was zwischen ihm und deren Vater wirklich vorgefallen war.
Aber zuerst musste er etwas Wichtiges erledigen.
Zuerst musste er kochen.
Die Utensilien für das Abenteuer lagen und standen bereit. Die meisten waren Gewürze. Julius erklärte gern jedem, der es hören wollte – aber auch allen anderen –, dass sich hinter dem Begriff Rinde, Blätter, Blüten, Knospen, Früchte, Wurzeln oder auch Samen verbargen. Er betrachtete die Auswahl: Ingwer, Kalmus, Knoblauch, Dill, Salbei, Thymian, Majoran, Nelken, Pfeffer unterschiedlichster Art und Schärfe, Kapern, Mohn, Sesam, Kardamom, aber auch Süßes wie Zimt und Vanille. Selbst teurer Safran stand bereit. Frische Kräuter waren ebenfalls zu finden, wie auch Öle, Essige und Alkoholika unterschiedlichster Herkunft, allen voran der unverzichtbare Noilly Prat. Auch für Senf war Platz, ebenso für Meerrettich, Sahne, Crème frâiche, Crème double.
All das stand wild durcheinander vor Julius.
Plus eine Augenbinde.
Eine provisorische. Es war ein dunkler Schal, den Julius nach einigem Ausprobieren für brauchbar erklärt hatte. Er holte sich eine hohe Edelstahlschüssel und einen großen Schneebesen.
Dann legte er die Binde um.
Er hatte beschlossen, einfach zuzugreifen und das Erstbeste zu nehmen. Für gewöhnlich kreierte Julius neue Gerichte mit Hilfe von Musik, ließ sich von klassischen Komponisten inspirieren, reiste mit ihnen in imaginäre Küchenwelten. Aber er hatte bemerkt, dass ihm dies die Möglichkeiten des Zufalls versperrte. Wie viele große Gerichte, hatte er sich gefragt, waren durch ihn entstanden? Weil etwas zu lange auf dem Herd gestanden hatte oder zu kurz, weil jemand das »Falsche« untergemengt hatte, weil alles in einen Topf geschmissen wurde, was da war – egal, ob es passte oder nicht –, um die Mägen der Liebsten füllen zu können. Ein Zufall war es schließlich auch gewesen, der den Weinbau in Deutschland revolutioniert hatte. Julius liebte diese Geschichte, und er liebte es deshalb, Schloss Johannisberg im Rheingau zu besuchen, wo sie sich zugetragen haben sollte. Er musste auch jetzt an sie denken, während er versuchte, sich auf das kommende Experiment einzustimmen. Die Spätlese, das Aushängeschild deutscher Weinkultur, war tatsächlich per Zufall entdeckt worden. Es war im 18. Jahrhundert gewesen. Zu dieser Zeit wurde die
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