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Kaltduscher

Kaltduscher

Titel: Kaltduscher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Sachau
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orientierungslos durch die Straßen.
     
    *
     
    Es ist genau vier nach vier, als ich schweißüberströmt auf dem Hof der Chausseestraße 8 eintreffe. Wo ist jetzt der verflixte Aufgang C5? Schade, dass Caio nicht dabei ist. Der findet so etwas immer blind.
    »Hallo, Krach.«
    Gonzo lehnt hinter mir an einer Wand.
    »Oh, hallo. Hab dich gar nicht gesehen. Wie gehts?«
    »Bestens.«
    »Du siehst blass aus.«
    »Kann sein. Hab ja in den letzten Stunden kaum frische Luft gekriegt.«
    »Kannst du laufen?«
    »Klar kann ich laufen. Glaub bloß nicht, dass ich mich noch mal von ein paar läppischen RS2-Liedern habe kleinkriegen lassen.«
    »Na ja, ich mein ja nur.«
    Wir treten den Heimweg an. Nach den ersten Metern auf der Chausseestraße sagt Gonzo »Wart mal kurz« und verschwindet im nächsten Hof. Ich setze mich auf die Brüstung des Schaufensters eines teuren Raumausstattungsgeschäfts und studiere die Preise. Fünfstellige Beträge für einen Teppich. In New York wäre das wahrscheinlich sogar noch billig.
    »Alles klar, wir können weiter.«
    »Du hast noch Kotze am Kinn, Gonzo.«
    »Echt?«
    Ich gebe ihm ein Tempo. Er wischt sich damit ein wenig im Gesicht herum. Seine Hände zittern.
    »Jetzt weg?«
    »Ja. Soll ich uns nicht doch lieber ein Taxi rufen?«
    »Auf keinen Fall. Mit gehts prächtig.«
    »Sag mal ehrlich, lohnt sich die ganze Quälerei für die paar Mücken überhaupt? Vielleicht ist es doch besser, wenn du dich als Proband für irgendeine Pharma-Testreihe zur Verfügung stellst?«
    »Quatsch… Wart noch mal schnell.«
    Er verschwindet im nächsten Hofeingang. Ich warte wieder und hole noch ein Tempo aus der Tasche. Okay, es geht ihm dreckig. Trotzdem habe ich nicht so richtig Mitleid. Eifersucht hat mehr Stärkepunkte.
     
    *
     
    Wir haben eine geschlagene halbe Stunde gebraucht, um nach Hause zu kommen. Die Kotzerei hat zwar bald aufgehört, aber Gonzo wurde immer wackeliger auf den Beinen. Tobi und ich haben ihn fürs Erste in der Küche auf seinem Stuhl geparkt. Sein Gesicht ist jetzt weißer als unsere Wand. Er zittert und spricht nicht mehr.
    »Du bist der Medizin-Experte, Tobi. Was machen wir mit ihm? Schmerzmittel, Tranquilizer, Antidepressiva?«
    »Hm, muss ja nicht immer gleich die chemische Keule sein. Vielleicht bisschen gute Musik?«
    »Börps!«
    »Okay, keine Musik.«
    »Kuh-Gras?«
    »Hab nichts mehr, und Reto ist nicht da.«
    »Ich habs. Warte, bin gleich wieder da.«
    Tobi verschwindet und kommt einen Augenblick später mit einer DVD wieder.
    »Was ist das?«
    »Deutschland – England, Viertelfinale Europameisterschaft 1972.«
    »Ja, das wird ihm guttun.«
    Schon während wir die DVD einlegen, schleicht sich ein schwaches Lächeln auf Gonzos bisher ausdrucksloses Gesicht. Das Lächeln wird noch deutlicher, als ich drei Biere auf den Tisch stelle. Und während Beckenbauer, Netzer und Müller beginnen, den Briten die Bälle durch die Beine tanzen zu lassen und sich unsere Gläser dabei leeren und füllen, kommt langsam, Schritt für Schritt, wieder Farbe in seine Wangen.
    Auch meine Stimmung wird durch das Zauberspiel dermaßen gehoben, dass es mir gar nicht schwerfällt, Gonzo zur Halbzeit zu sagen, dass er Amelies Lasagne in den Ofen stellen soll. Tobi reißt die Augen auf, als er davon hört, und sieht mich fragend an. Ich nicke resigniert. Er patscht mir mitleidsvoll auf die Schulter, aber es ist nicht zu übersehen, dass er sich irgendwie für Gonzo freut. Mann, und ich habe mir dauernd Gedanken gemacht, ob ich seine Gefühle verletzen würde, wenn… na ja, ist jetzt auch egal.
    Gonzo wirkt immer noch sehr unsicher auf den Beinen, als er aufsteht und zum Kühlschrank will.
    »Soll ich das vielleicht machen?«
    Tobi sieht mich streng an und flüstert mir ins Ohr.
    »Nein, das muss er selber machen. Das ist wichtig.«
    »Echt?«
    »Es könnte sehr böse Kräfte freisetzen, wenn Amelie erfährt, dass jemand anderer am Lasagneritual beteiligt war, glaub mir. Sehr komplex und fragil, das alles.«
    Aha. Mit anderen Worten, das wäre jetzt meine letzte Chance. Aber was soll ich tun? Erstens macht man so was nicht, und außerdem würde mir Tobi sowieso keine Sabotageakte erlauben.
    Gonzo arbeitet sich Meter für Meter vor und stützt sich dabei an der Wand ab. Es dauert eine kleine Ewigkeit, bis er am Herd ist. Wenn ich jetzt plötzlich aufspringe, wäre ich schneller als Tobi bei Gonzo. Ich könnte ihm die Form aus der Hand nehmen und »Oops, das ging ja gerade noch mal gut« sagen.

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