Kasey Michaels
wieder die trügerische Sicherheit des Schattens suchen.
Und wie
sich ihr Herz in Wonne hob, erkannte sie, dass jeder seine Weise hat, zu
fliegen. Doch jeder konnte sich in die Lüfte erheben.
„Hier
lassen wir den Weg hinter uns und reiten querfeldein.“ Tanners Worte
rissen sie aus ihren Gedanken. „Bereit, Liebes?“
Sie nickte
und fasste die Zügel fest. „Ja, bereit.“
Während der
nächsten Zeit war keine Unterhaltung möglich; häufig, wenn der Durchgang
zwischen Bäumen und Büschen zu eng war, ritten sie hintereinander, dann wieder
an Feldrainen entlang. Doch bald ließen sie auch die wenigen Äcker hinter sich,
und vor ihnen streckten sich leicht ansteigende Hügel, begrünt von dichtem
Gras, und immer wieder von Baumgruppen bewachsen.
In der
Ferne sah Lydia weitere Hügelkuppen, die sich bis ans Ende der Welt zu
erstrecken schienen. Die Luft war frisch und duftete, eine warme Brise umwehte
ihre Wangen. Wohin sie auch schaute, schien das Land unberührt, nur von Sonne
und Regen geküsst, nahezu geweiht, ein so wundervoller Anblick, dass es ihr die
Tränen in die Augen trieb.
An einer
Stelle, am Hang der nächsten Erhebung, gab Tanner ein Zeichen anzuhalten. „Von
hier an lass uns zu Fuß gehen. Von der anderen Seite des Hügels können wir
Malvern Hall sehen, mein Heim – und deins, wenn du möchtest.“
Er stieg
ab, band die Zügel seines Pferdes an einen tief hängenden Ast und ging dann zu
Lydia, um ihr aus dem Sattel zu helfen. Sie schmiegte sich an ihn, eine
Bewegung, die ihr nun ganz natürlich schien und ihr keine Scheu bereitete. Sie
fest umschlingend küsste er sie.
Dann
erklommen sie Hand in Hand die sanft ansteigende Hügelkuppe; bis zu den Knien
wateten sie in dem süß duftenden Gras, das im leichten Wind tanzte.
Tanner
schritt selbstsicher einher, ausgeglichen und sichtlich stolz, ihr seine Heimat
zeigen zu können.
Seltsam,
dachte Lydia, wie ich lebte, hat mich bisher nie sonderlich interessiert.
Nicht dass sie in einer baufälligen Hütte hätte hausen wollen, doch ob es in
dem abgewohnten Willowbrook war, wo sie aufwuchs, oder im hochherrschaftlichen
Ashurst, solange sie ihre Bücher, einen Garten und angenehme Gesellschaft
hatte, war sie zufrieden. Selbst London war nicht so schlecht, denn es fand
sich immer ein stiller Erkerplatz oder ein trautes Eckchen mit einem bequemen
Sessel, um sich mit einem Buch dorthin zurückzuziehen.
Doch das
Land war ihr um vieles lieber. Die Ruhe, die Gemächlichkeit, ein stilles
Familienleben ...
„Oh!“
Jäh hielt Lydia an. Vor ihr fiel der Hügel sanft ab, und in der Ferne lag
Malvern Hall, ein Juwel in der Landschaft. Die Sonne spiegelte sich blitzend in
den vielen mit grauem Stein eingefassten Fenstern der vier Stockwerke, und aus
dem gleichen hellen Stein waren die bogenförmigen Arkaden der vorspringenden
Seitenflügel. Das Gebäude selbst bestand aus dunkelgrauem Feldstein, wirkte
aber dank der unzähligen Fenster trotzdem elegant. Auf dem Schieferdach reihten
sich ordentlich gestaffelt zwei Dutzend Schornsteine oder mehr.
Vor dem
Portal stand Tanners Reisewagen, der gerade entladen wurde; anschließend nahm
der Kutscher die Zügel wieder auf und lenkte das Gespann über die mit weißem
Kies bestreute Auffahrt hin zu den Ställen, in deren Hof schon die beiden anderen
Wagen standen.
Sie und
Tanner würden also als Letzte eintreffen. Doch Lydia hatte keine Eile. Sie
hätte stundenlang hier verweilen und einfach nur Tanners Heim anschauen können.
Ihr Heim.
Im
Hintergrund sah sie den üppigen Park mit Baumgruppen, kunstvoll angelegten
Staudengärten und Pflanzungen. Malvern Hall thronte nicht einfach auf seinem
Land, sondern es schmiegte sich trotz seiner Größe heimelig in das
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