Kein Entkommen
Hand bereits um den Knauf gelegt.
Jans Jetta stand nach wie vor draußen in der Einfahrt.
Also konnte ich wenigstens davon ausgehen, dass sie sich nicht …
Mach endlich die verdammte Tür auf. Ich drehte den Knauf und trat in die Garage. Sie sah genauso unaufgeräumt wie immer aus.
Von Jan war nichts zu sehen.
Mein Blick fiel auf die beiden großen Mülltonnen in der Ecke. Nie zuvor wäre ich auf die Idee gekommen, dass die Abfalltonnen groß genug für eine Leiche waren, doch inzwischen kamen mir die absurdesten Gedanken. Ich näherte mich den Tonnen, atmete tief ein und öffnete den Deckel der ersten.
Und starrte auf einen blauen Müllsack.
Die andere Tonne war leer.
Unser zugeklapptes Laptop stand neben dem Telefon auf der Arbeitsplatte, halb begraben unter ungeöffneter Post und allerlei Werbesendungen.
Ich trug es zum Küchentisch, drückte den Start-Knopf und trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte, bis das lahme Ding endlich ansprang und ich das Fotoarchiv aufrufen konnte. Im vergangenen Herbst waren wir zusammen in Chicago gewesen – das letzte Mal, dass ich Bilder von meiner Digitalkamera auf den Rechner geladen hatte.
Ich sah mir die Fotos an. Jan und Ethan, die unter dem Passagierflugzeug im Museum of Science and Industry standen. Noch mal die beiden vor dem Burlington-Zephyr-Expresszug. Ethan und Jan im Millennium Park, wie sie zusammen Käse-Popcorn aus einer Tüte futterten, die Münder gelb-orange vom Käsepulver.
Die meisten Bilder zeigten Jan und Ethan, da ich für gewöhnlich die Fotos knipste. Und da war endlich eine Aufnahme von mir und Ethan mit zahllosen Segelbooten im Hintergrund, während ich ihn auf dem Schoß hielt.
Ich entschied mich für zwei Schnappschüsse, auf denen Jan besonders gut zu sehen war. Ihr dunkles Haar, damals noch ein wenig länger, fiel ihr in die linke Gesichtshälfte, doch waren ihre Züge perfekt zu erkennen. Die braunen Augen, die weich geformten Wangenknochen, die kleine Nase, die kaum wahrnehmbare Narbe am Kinn, die sie sich als Teenager bei einem Sturz mit dem Fahrrad zugezogen hatte. Von ihrem Hals hing eine schmale Kette mit einem Anhänger, der wie ein mit Gold und diamantenem Zuckerguss überzogener Muffin aussah. Soweit ich wusste, trug sie ihn schon seit ihrer Kindheit.
Ich kramte Detective Duckworths Karte aus meiner Tasche und schickte das Foto an seine Mail-Adresse. Ich fügte zwei weitere Bilder bei – sie waren nicht ganz so gut, aber aus anderer Perspektive –, um ganz sicherzugehen, dass er genug Material zur Verfügung hatte.
Dem letzten Bild fügte ich eine kurze Notiz hinzu: »Das erste Bild zeigt sie am besten, aber sicherheitshalber habe ich noch zwei weitere Fotos geschickt. Bitte geben Sie mir Bescheid, sobald Sie etwas herausgefunden haben.« Anschließend druckte ich das erste Bild etwa zwanzig Mal aus.
Ich griff zum Telefon, da ich nicht warten wollte, bis Duckworth seine Mails checkte. Bloß keine Zeit verschwenden. Ich wählte seine Handynummer.
»Duckworth«, meldete er sich.
»David Harwood hier«, sagte ich. »Ich habe Ihnen gerade die Bilder geschickt.«
»Sind Sie zu Hause?«
»Ja.«
»Gibt’s irgendein Lebenszeichen von Ihrer Frau? Hat sie vielleicht eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen?«
»Nichts«, sagte ich.
»Hmm. Okay, ich leite die Bilder Ihrer Frau sofort weiter.«
»Und ich spreche mit dem Standard «, sagte ich. Ich musste dringend mit meinen Kollegen reden. Noch war genug Zeit, Jans Bild in der Sonntagsausgabe zu bringen.
»Warum überlassen Sie das nicht uns?«, gab er zurück. »Ich halte es für besser, wenn wir die Angelegenheit von einer Seite aus angehen, verstehen Sie?«
»Aber …«
»Mr Harwood, Ihre Frau wird gerade einmal seit ein paar Stunden vermisst. In den meisten derartigen Fällen reagieren wir sehr viel langsamer. Wäre das Ganze nicht im Five Mountains passiert, stünde die Sache sicher nicht an oberster Stelle unserer Prioritätenliste.«
Ich lauschte schweigend.
»Möglich, dass Ihre Frau noch heute Abend wieder auftaucht. Alles schon vorgekommen.«
»Und Sie glauben, dass das auch diesmal passiert?«
»Wir wissen es nicht, Mr Harwood. Ich habe lediglich gesagt, dass wir nichts überstürzen sollten. Lassen Sie uns lieber noch ein, zwei Stunden abwarten.«
»Ein, zwei Stunden«, wiederholte ich leise.
»Ich melde mich bei Ihnen«, sagte er. »Und danke für die Fotos. Sie haben mir sehr geholfen.«
Ich ging ins Wohnzimmer. Ethan kauerte
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