Kinder des Judas
werden die Menschen meine Theorien lesen und darüber diskutieren.« In Jitka war ein Feuer entfacht, und Karol sah das mit Freude. »Du bist nicht nur eine gute Sängerin, wie mir Martin berichtet hat, sondern auch noch wissbegierig.«
Jitka seufzte glücklich. »Ja, sehr sogar, Vater. Mutter sagte immer, dass ich neugieriger als eine Katze sei und dass sie bald nicht mehr wisse, wie sie meine Fragen beantworten sollte.« Sie stand auf, streckte die Arme aus, berührte mit den Fingern die Folianten und lief ein paar Schritte in den Gang, wo ein besonders leuchtender Buchrücken ihre Aufmerksamkeit erregt hatte. Dort blieb sie stehen und sah über die Schulter. »Vater, was ist …« Sie stockte.
Er war verschwunden.
»Ich werde dir alles beibringen, was ich weiß«, sprach er sie plötzlich von der Seite an, und sie fuhr mit einem leisen Schrei zusammen, die Arme eng um den Körper geschlungen.
»Ich habe nicht gehört, dass du aufgestanden bist!«
»Verzeih mir, ich wollte dich nicht erschrecken«, entschuldigte er sich und streichelte ihr liebevoll über den Schopf. »Ich schlage vor, wir machen uns etwas zu essen, und danach bringe ich dir die ersten neuen Buchstaben bei, was hältst du davon?«
Jitka nickte begeistert.
Etwas später saßen sie beim Essen zusammen. Karol hatte einen schmackhaften Eintopf aus Rüben und Kraut gekocht; als Nachspeise gab es türkischen Honig, den Jitka hingebungsvoll lutschte.
»Du wirst auf meiner gepolsterten Liege schlafen, bis ich dir ein Bett besorgt habe«, erklärte er ihr. »Wundere dich nicht, wenn ich tagsüber oft nicht in der Mühle anzutreffen bin. Du wirst alles, was du zu essen und zu trinken benötigst, in der Küche finden, der Abort ist in der Scheune. Ich … »
»Ich weiß«, sagte Jitka eifrig. »Du bist ein Forscher.« Dann wurde sie traurig. »Aber wie kann ich denn lernen, wenn du spät nach Hause kommst? Darf ich nicht mitkommen?«
Karol schüttelte den Kopf, die Glassteine in der Perücke reflektierten das Licht der Lampen. Er hatte sich noch nicht umgezogen und erinnerte Jitka nach wie vor an einen reichen Fürsten. Gerade deswegen wunderte es sie auch, dass es hier in der Mühle keine Bediensteten gab. Am Geld konnte es doch nun wirklich nicht liegen. »Nicht bevor ich dir beigebracht habe, wie man sich wehrt.«
»Gegen die wilden Tiere im Wald?« Sie nahm sich noch einen Brocken vom türkischen Honig.
»Und gegen die Menschen, denen du begegnen wirst.«
Verwundert ließ Jitka das Konfekt wieder sinken. »Ich soll lernen, wie man kämpft, Vater?«
»Ja, sicher.« Er beugte sich vor, seine Stimme wurde geheimnistuerisch. »Forscher wie wir beide, Tochter, gelangen anOrte, die ungastlich sind. Außerdem werden Expeditionen nicht immer mit Jubel empfangen, daher ist es wichtig, dass du dich zu wehren weißt. Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede. Es hat nicht immer an den Türken gelegen, dass die Menschen uns mit Steinen und Mistgabeln vertreiben wollten. Die meisten Menschen mögen Fremde nicht.«
»Ich hasse die Türken«, sagte Jitka finster.
»Bedenke, was du sagst, denn es sind Menschen wie alle anderen auch.« Karol sprach gleichmütig. »Kein Mensch ist besser oder schlechter als der andere. Du wirst in den Büchern Berichte über unzählige christliche Herrscher finden, die ihre Untertanen schlimmer als die Sultane behandelten.« Er sah hinauf zu dem Kreuz, das an der Wand gegenüber dem Eingang hing; darunter hatte der Holzschnitzer drei betende Menschen angeordnet. »Das ist der einzige Mann, der ohne Fehl und voller Gnade war: Jesus von Nazareth.«
»Ich weiß, Vater. Mutter hat es mich gelehrt.« Jitka fixierte die Gruppe. »Wer ist das zu seinen Füßen, Vater?«
»Die gläubigsten Menschen der Welt, Tochter: Maria Magdalena, Judas Ischariot und Longinus, der römische Legionär, der Jesus den Speer in die Seite stach. Sie zweifelten nicht daran, dass er der Sohn Gottes war. Und so halte ich es auch.« Karol bekreuzigte sich.
Obwohl Jitka es ihm folgsam nachtat, runzelte sie skeptisch die Stirn. »Aber hat Judas den Herrn nicht verraten?«
»Er sorgte dafür, dass geschah, was geschehen sollte. Ohne ihn wäre Jesus nicht am Kreuz gestorben. Er hätte nicht die Sünden der Welt auf sich nehmen können.« Karol sprach bedächtig. »Niemals hat er daran gezweifelt, dass Jesus der Sohn Gottes und auserkoren war, uns die wahre Religion zu bringen, die ewig bleiben wird. Ohne Judas Ischariot gäbe es unseren heiligen
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