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Klammroth: Roman (German Edition)

Klammroth: Roman (German Edition)

Titel: Klammroth: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isa Grimm
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mehr. »Warte!«
    Noch war er nicht viel mehr als ein dunkler Fleck hinter schuppigen Birkenstämmen.
    »Willst du lieber zurück zum Auto?« Lily schob eine Strähne unter ihre Mütze.
    »Nein.« Anais holte tief Luft und bekam ihre unbestimmte Furcht in den Griff. »Schon gut. Gehen wir weiter.«
    Lily kam zurück und ergriff ihre Hand. »Du hast ganz kalte Finger.«
    Der Tunnel lag am Ende einer gemauerten Trasse. Auf den letzten Metern stiegen zu beiden Seiten braune Ziegelwände empor. Der Zugang hatte die Form eines halbierten Ovals, eingefasst von Quadern. Von den Felsen weiter oben hing ein Vorhang aus Ranken herab.
    Der Eingang war mit einem Eisentor verschlossen, zwei rostige Flügel unter einer halbrunden Stahlplatte im oberen Teil der Tunnelwölbung.
    »Haben die das Tor nachträglich eingebaut?«, fragte Lily.
    »Im Krieg ist der Tunnel als Zuflucht benutzt worden, aus der Zeit stammen die Torflügel. Nach ’45, als die Straße wieder in Betrieb genommen wurde, hat man sie entfernt. Sie müssen all die Jahre über im Unterholz gelegen haben, denn als es nach dem Unfall darum ging, den Tunnel zu sperren, hat man einfach den Dreck runtergekehrt und sie wieder eingehängt.«
    Sie erreichten die gemauerte Schneise. Zwischen den Wänden war der Asphalt erhalten geblieben, knöchelhoch mit vermodertem Laub und Zweigen bedeckt. Brennnesseln und Disteln bildeten davor einen hüfthohen Wall, durch den jemand einen Pfad gebahnt hatte. Die Kante, mit der daskurze Stück Fahrbahn begann, kam Anais vor wie die Stufe zu einem Altar.
    Ein gutes Stück vor dem Tor befanden sich die Überreste einer Feuerstelle. Graffiti waren auf das Metall und an die seitlichen Mauern gesprüht worden, verworrene Zeichen und unbeholfene Lettern, die keine lesbaren Wörter ergaben.
    Anais und Lily stiegen die Asphaltkante hinauf und näherten sich durch die Ziegelschneise dem Tunnel. Es roch nach dem erkalteten Lagerfeuer, aber nicht nach Urin oder verschüttetem Bier. Auch waren nirgends zerbrochene Flaschen und Abfall zu sehen. Wer immer das Feuer entzündet hatte, hatte danach gründlich aufgeräumt.
    Ihr Blick wanderte von der Asche hinüber zum Tor, keine zehn Meter entfernt. Das Laub, das vom Wind in die Sackgasse getrieben worden war, glänzte vor rutschiger Nässe. Jenseits davon erhoben sich die eisernen Torflügel dreimal so hoch wie Anais. Dass dahinter zweihundert Meter Finsternis lagen, ließ sich nur erahnen; unvorstellbar, dass noch vor siebzehn Jahren der Straßenverkehr dort hindurchgeführt hatte.
    Anais’ Herz raste in der Brust, und ihre Blase brannte. Ihr ganzer Körper war angespannt, so, als müssten jeden Augenblick alle Sehnen reißen. Sie bekam Kopfschmerzen, und ihr Magen hatte sich zu einem Knoten verhärtet. Am schlimmsten aber war der Geruch. Das war nicht mehr die Feuerstelle, sondern etwas, das ihr auf grauenhafte Weise vertraut war.
    Verbranntes Haar.
    »Sagt dir das hier was?«, fragte Lily.
    Anais löste ihren Blick von der Stahlwand. »Hm?«
    »Die Zeichen.« Lily deutete auf die Graffiti an den Mauern.
    »Das sind nur irgendwelche Schmierereien.« Beinahe wünschte sie sich den üblichen Schwachsinn herbei, riesige Penisse, unproportionierte Brüste und was Fünfzehnjährigen sonst so einfiel, wenn sie betrunken, bekifft und ungevögelt waren. Doch dergleichen gab es hier nicht. Stattdessen hatten die Symbole an den Mauern Ähnlichkeit mit altertümlichen Schriftzeichen. Nordische Runen? Nazisymbole? Oder vielleicht doch nur Kritzeleien ohne Sinn und Verstand?
    »Wenn man sie eine Weile ansieht, ist es, als würden sie sich bewegen«, sagte Lily und klang viel zu fasziniert für Anais’ Geschmack. »Und man sieht unterschiedliche Dinge darin, wie auf diesem Bild von der alten Frau, die plötzlich zu einer jungen wird.«
    »Das ist nur eine optische Täuschung.«
    Lily drehte sich zu ihr um. »Das weiß ich.«
    »Entschuldige.«
    »Ich sag ja nur, dass es mir so vorkommt.« Ehe Anais sie aufhalten konnte, trat Lily näher an das Tor. »Es ist offen«, sagte sie leise.
    Der Geruch nach verbranntem Haar wurde noch intensiver.
    »Das kann nicht sein«, erwiderte Anais mit gepresster Stimme.
    Lily wollte eine Hand heben und damit gegen den rechten Torflügel drücken.
    »Warte!«, sagte Anais scharf. »Lass das!«
    Lilys Arm zuckte zurück, als hätte etwas in ihre Fingerspitzen gebissen. »Ist doch nur ein kleiner Spalt.«
    Anais hielt die Luft an. Der Geruch existierte einzig in ihrer Einbildung,

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