Kochlowsky 1: Vor dieser Hochzeit wird gewarnt
sind Spritzen – das ist Ihre Philosophie. Sie ekeln mich an, Leo! Sie größenwahnsinniges Großmaul! Nehmen Sie endlich zur Kenntnis, daß um Sie herum auch noch Menschen leben! Menschen, die viel zu wertvoll sind, um von Ihnen überhaupt durch einen Blick beleidigt zu werden. Sie müßten mit niedergeschlagenen Augen an ihnen vorbeischleichen.«
»Landauer, Sie haben mordsmäßig gesoffen, nicht wahr?« fragte Leo gepreßt. »Geben Sie es zu.«
»Ich war nie nüchterner als jetzt. O Himmel, wenn ich jetzt getrunken hätte – was würde ich Ihnen dann noch sagen!«
»Hörst du das, Eugen?« brüllte Leo.
»Ich hinke zwar, aber ich bin nicht taub.« Eugen hob den Kopf. »Schrei nicht so, Leo.«
»In meinem Haus kann ich schreien, wie ich will!« Kochlowsky setzte sich an den Tisch, spreizte die Beine in den hohen Reitstiefeln und blickte sich kampflustig um. »Man opponiert also gegen mich, was? Ein schwindsüchtiger Poet und ein Gossenmaler! Wenn das nicht so traurig wäre, müßte ich mich vor Lachen bepinkeln!«
»Ich finde keine Erklärung dafür, wie so etwas mein Bruder sein kann«, sagte Eugen mit wahrem Löwenmut. »Vater war ein frommer Mann, Mutter war eine so sanfte, duldsame Frau. Bei uns gab es kein lautes Wort, bis du zehn Jahre alt warst, vom Spielen hereinkamst und durch die Stube brülltest: ›Der Placzik-Josef ist ein Mistknoten!‹ Ich erinnere mich, wie Mutter bleich vor Schreck wurde und ihr der Stickrahmen aus der Hand fiel. Und Vater hat dir eine runtergehauen!«
»Das war ein Fehler!« Leo Kochlowsky blickte an die Zimmerdecke. »Ich sehe ihn noch vor mir, den Josef Placzik. Er war ein Mistknoten! Er hat mich beim Murmelspiel betrogen. Vater hätte sich von dem wahren Sachverhalt überzeugen müssen, bevor er zuschlug. – Ich habe damals nicht begriffen, warum ich Ohrfeigen bekam und nicht Josef Placzik. Er hatte mich betrogen! Jetzt bin ich klüger: Die Schläge bekommt immer der Wahrheitsliebende.«
»Leo Kochlowsky, der große Märtyrer!« sagte Landauer provozierend. »Er frißt die Wahrheit säckeweise und spuckt dafür Feuer aus …«
Kochlowsky zögerte. Dann sagte er laut: »Scheiße!«, stand auf und ging hinauf in sein Schlafzimmer.
Eugen wartete, bis oben die Tür zuknallte. »Mußte das sein, Louis?« fragte er.
»Ja.« Landauer sah verbissen auf seine Hände. »Ich will, daß er uns rausschmeißt. Dann sind wir unsere Verpflichtung ihm gegenüber los. Ich kann Sophie malen, ohne ihn zu betrügen. Ich habe keinen Auftrag mehr.«
»Aber er schmeißt uns nicht raus«, sagte Eugen und füllte das zweite Glas Malzbier auf. »Das ist ja der Jammer: Dazu ist er zu anständig!«
»Das verstehe ich nicht.«
»Für ihn sind wir Hungerleider. Die armen Künstler, die Erfolglosen. Er brächte es nie übers Herz, uns jetzt wieder hinauszuwerfen und weiter hungern zu lassen.«
Landauer nickte. Eugen hatte recht: Das war die andere Seite von Leo Kochlowsky, von der er selbst am wenigsten etwas wissen wollte.
»Was machen wir nur?« fragte Landauer kleinlaut. »Wir müssen hier raus! Ich kann nicht sein Brot essen und ihn hinterrücks betrügen. Ich bin kein Schuft.«
»Lassen wir die Zeit arbeiten, Louis.« Eugen trank einen tiefen Schluck und hob weise die Hand. »Es gibt Dinge, die regeln sich durch Nichtstun.«
Am nächsten Tag um halb drei Uhr nachmittags baute Landauer seine Staffelei in der Gartenecke neben dem hinteren Kücheneingang auf. Die Leinwand hatte er schon vorgestrichen: himmelblau. Auf diesem Grund wollte er den schönsten Frauenkopf malen.
Eugen Kochlowsky hatte sein bestes Hemd angezogen, weiß, mit einem Spitzeneinsatz und einer dünnen, silbergrauen Schleife. Das trug er sonst nur bei ganz großen Feierlichkeiten, zum Beispiel zu Weihnachten, wenn er in der Christuskirche von Nikolai mit wohlklingender Stimme von der Orgelempore herab die Weihnachtsgeschichte dramatisch vortrug.
Das Presbyterium genehmigte dafür großzügig drei Mark Gage, umgesetzt in einen Eßkorb, der wiederum eine Spende des Metzgers Leufeldt war. Hosianna in der Höh'!
»Wenn sie kommt, werde ich mich an die Mauer lehnen müssen«, sagte Eugen atemlos. »Die Verse werden aus mir hervorbrechen wie Lava aus einem Vulkan …«
X
Zunächst erschien Wanda Lubkenski – hatte man anderes erwartet?
Sie kam aus der Küchentür, sicherte nach allen Seiten wie ein gejagtes Wild, fand die Luft rein von Spionen und vor allem von Leo Kochlowsky und ging zu den beiden Männern.
»Keine
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