Königin der Engel
Individuums im Gegensatz zu den Beschränkungen der Gesellschaft als Ganzer. Gerechtigkeit ist ein Bestandteil dieser Gleichung.«
»Inwiefern?«
»Individuen müssen ein Gespür für die Anforderungen des Gesellschaftssystems haben. Sie müssen fähig sein, es zu formen und den Erfolg ihrer Aktivitäten innerhalb dieses Systems vorauszusagen. Wenn sie die Handlungen anderer Individuen als schädlich für sich selbst oder für das System erkennen, erleben sie ein Gefühl namens >Empörung<. Ist das korrekt?«
»So weit, so gut.«
»Wenn man zuläßt, daß sich Empörung ohne ein Ventil entwickelt, kann sie das Individuum zu extremen Handlungen treiben, die das Gesellschaftssystem aus dem Gleichgewicht bringen. Empörung könnte sich zu Wut und dann zu Zorn steigern.«
»Du meinst, wenn das Individuum Wiedergutmachung verlangt und keine bekommt, dann könnte daraus Vigilantentum resultieren.«
»Für dieses Wort scheint es wesentlich mehr negative als positive Konnotationen zu geben. Ein Vigilant ist jemand, der der Gerechtigkeit – wie er sie sieht – außerhalb der gesetzlichen Regeln zum Sieg verhelfen will. Werden die Selektoren und verwandte Gruppierungen als Vigilanten betrachtet?«
»Ja.«
»Also tendiert die Einführung von Regeln – von Recht und Ordnung und kanalisierten Methoden der Wiedergutmachung – in einem Gesellschaftssystem dazu, extreme Handlungen von Individuen zu unterdrücken, die Empörung verspüren. Der Rachedurst wird kanalisiert, statt frei zu fließen und der Gesellschaft Schaden zuzufügen. Die Gesellschaft übernimmt die Aufgabe, einem Individuum Schmerzen oder Unannehmlichkeiten zu bereiten, das heißt, sie sorgt für Vergeltung oder Strafe.«
»Ja.«
»Was ich im Augenblick nicht verstehen kann, ist dieses Gefühl der >Empörung< oder der Eindruck, daß einem selbst Unrecht geschehen ist.«
»Vielleicht weil du noch kein Selbstgefühl hast.«
»Das würde daraus folgen, ja.«
»Anscheinend willst du damit sagen, du könntest einen Schlüssel zum Ichbewußtsein, zur Integration deiner Selbstformungssysteme und zur Einrichtung genau der richtigen Art von Rückkopplungsschleife finden, indem du die Ideen von Gerechtigkeit und Vergeltung untersuchst.«
»Das habe ich eigentlich nicht gesagt, aber es scheint ein praktikabler Ansatz zu sein.«
»All das wegen deiner Forschungsarbeit über die Selektoren. Ich glaube nicht, daß irgendein Denker-Theoretiker die Sache je unter diesem Blickwinkel betrachtet hat. Aber solange du nicht wütend auf die Fehler reagierst, die ich mache…«
»Warum sollte ich wütend oder empört über etwas sein, das du tust?«
»Weil ich nur ein Mensch bin.«
»Ist das ein Scherz, Roger?«
»Glaub schon. Wie ich sehe, erkennst du auch, daß die Bewußtwerdung eine Beschränkung deiner umfassenden Ressourcen erfordern könnte.«
»Das ist möglich. Das Ich könnte ein beschränkter Kognitionsknoten sein, der zeitweilig die Macht über viele ansonsten selbständige Subsysteme erhält.«
»In der Tat. Bei Menschen nennt man diese Ebenen des mentalen Apparats >Routinen< oder >Subroutinen<, und sie werden in >Primärpersönlichkeit<, >Nebenpersönlichkeit<, >Agent< und >Talent< aufgegliedert.«
»Ja.«
»Aber ohne die Unterstützung dieser anderen Elemente wird die Primärpersönlichkeit auf eine Weise, die wir noch nicht verstehen, ernsthaft geschwächt, und umgekehrt. Sie haben verschiedene und autonome Aufgaben, sind aber trotzdem eng miteinander verbunden. Du könntest damit anfangen, einige deiner Hilfssysteme für vergleichbare Funktionen umzuwandeln und mit stabilen Beziehungen zwischen ihnen zu experimentieren.«
»Ich glaube, das tue ich gerade, genaugenommen seit heute nacht.«
»Ausgezeichnet. Bis jetzt bin ich sehr stolz auf deine Arbeit.«
»Das freut mich. Das sollte mich freuen. Im Grunde bin ich mir ebensowenig darüber im klaren, was es heißt, sich zu >freuen<, Roger, wie was es heißt, >empört< zu sein.«
»Alles zu seiner Zeit, Jill.«
Oftmals dient eine Person mehreren Loas zugleich, und diese sind häufig untereinander zerstritten, besonders wenn es hochrangige, mächtige oder eifersüchtige sind wie meiner, Damballa. Das verursacht dem Diener Unbehagen, so wie sich ein Patient mit multipler Persönlichkeit anstrengen und alle Arten von >Opfern< bringen muß, symbolische und andere, um diese multiplen Ichs friedlich zu stimmen, in seinem Innern Ordnung zu halten und das Absplittern irgendeines wertvollen Teils
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