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Koenigin der Meere - Roman

Titel: Koenigin der Meere - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Doubek
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es.«
    Grandma Del behielt recht. Stunden später lief Anne immer noch um das Häuschen herum und fluchte bei jeder Wehe. Plötzlich fühlte sie einen Druck, der bisher nicht zu spüren gewesen war. Sie ging in ihre Kammer und legte sich auf das Bett. Grandma Del hatte alles mit bunten Tüchern abgedeckt und half ihr, sich zu entkleiden. Anne lag mit angewinkelten Beinen auf dem Rücken und legte die Hände auf ihren Bauch.
    »Ich kann es ganz deutlich fühlen. Schau nur, da ist der Kopf, und das hier sind die Beine.«
    »Noch ein kleines Weilchen, und du kannst es nicht nur fühlen, sondern sehen und in den Arm nehmen«, sagte Grandma Del.
    Die Presswehen kamen schnell und so heftig, dass Anne kaum zu
Atem kam. Stöhnend und schreiend versuchte sie, Grandma Dels Kommandos zu folgen.
    »Drücken, habe ich gesagt! Los! Du kannst mehr als das. Hilf deinem Kind auf diese Welt!« Anne presste mit angehaltenem Atem und rot angelaufenem Gesicht.
    »Verflucht und zugenäht, ich drücke doch!«
    »Das nennst du drücken?« Grandma Del hielt ihre Fußknöchel fest. »Das reicht bestenfalls zum Scheißen, aber nicht, um ein Kind auf die Welt zu bringen! Stemm deine Füße gegen meine Schultern, warte, bis die nächste Wehe kommt, und dann streng dich noch mal richtig an. Es ist fast geschafft. Ich kann das Köpfchen schon sehen.«
    Anne krallte ihre Hände in die Matratze und gehorchte. Vor Anstrengung kniff sie die Augen zu, Schweiß rann ihr von der Stirn. Auf einmal waren Druck und Schmerzen verschwunden. Anne öffnete erstaunt die Augen und sah, wie Grandma Del einen tiefen Zug aus ihrer Pfeife nahm und dem kleinen Bündel auf ihrem Arm in das verschmierte Gesicht blies. Augenblicklich begann das nackte Menschlein zu schreien, und Grandma Del lächelte zufrieden.
    »Ein Junge. Du hast einen Sohn. Zehn Finger, zehn Zehen und sogar ein paar Haare auf dem Kopf, was für ein Prachtkerl! Du kannst stolz sein.« Sie durchtrennte die Nabelschnur, wickelte den Säugling in ein Tuch und legte ihn Anne in den Arm.
    »Halt ihn gut fest, bis ich alles erledigt habe, dann wasche ich ihn und bringe den Tee.«
    Überwältigt betrachtete Anne ihr Kind.
    »Jack sollst du heißen, wie dein Daddy. Was der wohl sagt, wenn er dich sieht.« Sie schloss die Augen und streichelte die winzige Hand.
    Die alte Delilah hatte ganz genaue Vorstellungen von dem, was jetzt zu geschehen hatte. Sorgfältig legte sie Plazenta auf ein blütenweißes Leintuch und tastete mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand die Verdickungen der Nabelschnur ab.
    »Sechs! Ich zähle sechs«, sagte sie zu Anne, nachdem sie sich noch einmal vergewissert hatte.
    »Sechs was?« Anne riss entsetzt die Augen auf, weil sie dachte etwas mit den Fingern oder Zehen ihres Sohnes könnte nicht in Ordnung sein.

    »Sechs Knoten in der Nabelschnur«, beruhigte sie Grandma Del. »Das bedeutet, dass du sechs Kinder haben wirst, also noch fünf weitere.«
    »Noch fünfmal diese Prozedur! Daran will ich nicht denken!«, ächzte Anne.
    Grandma Del zog kräftig an ihrer Pfeife und paffte den Rauch in alle Ecken des Zimmers. Pfeifenqualm, das wusste sie genau, war Nahrung für gute Geister, und von denen konnte man nach einer Entbindung gar nicht genug anlocken. Böse Geister hingegen galt es fernzuhalten, und auch dafür gab es feste Regeln. Delilah rieb die Nabelschnur mit Öl ein und bestreute sie mit Muskat. Dann nahm sie das Messer, mit dem sie die Nabelschnur durchgeschnitten hatte, und steckte es in ein Kissen, das sie in eine Truhe legte. Neun Tage durften weder Kissen noch Messer benutzt werden. Erst dann konnte man sicher sein, einen wesentlichen Teil der notwendigen Vorkehrungen zum Schutz des Neugeborenen getroffen zu haben.
    Sie schlurfte hinter das Haus und grub die kleine Kassette mit ihren Ersparnissen aus. Bevor sie weiterarbeiten konnte, brauchte sie eine Silbermünze, aber nicht irgendeine. Vorgeschrieben war eine Münze, die der Vater des Kindes zuvor in der Hand gehalten hatte. Grandma Del kramte ein glänzendes Achterstück hervor, vergrub die kleine Kiste wieder und ging zurück ins Haus. Dort füllte sie Wasser in eine Schüssel, legte die Silbermünze hinein und nahm einen Krug mit Rum vom Tisch. Bevor sie den Rum in die Schale goss, genehmigte sie sich zwei ordentliche Schlucke. In der rechten Hand die Schüssel, in der linken einen Lappen, trat sie vor Annes Bett. Vorsichtig nahm sie der schlafenden Anne das Kind aus dem Arm und wickelte es aus seinem Tuch. Der

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