Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)
dem Ziel, der dortigen Heeresgruppe Nord, die von der Roten Armee attackiert wurde, zu Hilfe zu kommen. Doch die Situation spitzte sich wieder unangenehm zu: Nach einer erneuten Niederlage musste die Heeresgruppe Nord weiter zurückweichen und die Ersatzsoldaten kamen sich allmählich ein wenig herumgeschoben vor. Denn jetzt sollte es plötzlich mit einem Einsatzbefehl in die Südukraine gehen, wo es ebenfalls äußerst kritisch aussah.
Paul begriff in diesem Moment, dass dieses Hin und Her ein bloßes Hinhalten und zähe, sinnlose Verteidigung war. Die Männer um Stauffenberg hatten recht gehabt, das Schlimmste verhindern zu wollen – der Krieg war verloren. Zum ersten Mal, seit er Soldat war, fühlte er tiefe Resignation. Bis zur letzten Patrone – aber zu welchem Zweck?
Er hatte es so hindrehen können, dass Robert ihm wegen seines noch etwas schwachen Gesundheitszustandes bei der Verteilung und Reparaturen der Fahrzeuge assistierte. Die beiden, die so viel miteinander erlebt hatten, rückten nun immer näher zusammen und diskutierten oft im Geheimen über die kritische Lage. Die Männer, die jetzt noch als Reservesoldaten an die Front geschickt wurden, waren tatsächlich nur noch Kanonenfutter. Aber was konnte man bloß tun? Der Russe hatte plötzlich Fahrzeuge, Kanonen, Waffen ohne Ende – und vor allem immer neue Ersatztruppen, frische Kräfte, denen die ausgebrannten, ermüdeten Soldaten nicht mehr standhalten konnten. Kapitulation – das war wirklich die letzte Hoffnung! Aber Hitler verkroch sich in seinem Bunker, gab sich Illusionen hin, wollte nicht aufgeben. Der deutsche Soldat kämpft bis zur letzten Kugel, und wenn alles zusammenbricht!
»Wenn der Krieg zu Ende ist, dann treffen wir beide uns in meiner Kneipe in Berlin ›Das kleine Eck‹, nicht wahr? Und wir saufen zur Feier des Tages eine ganze Flasche Schnaps aus!« Robert hielt ihm die Hand hin. »Bist du dabei?«
Paul schlug ein. »Klar. Und Champagner! Und drei Portionen Königsberger Klopse …« Er senkte den Kopf, denn in diesem Augenblick waren Tränen in seine Augen getreten.
»Königsberger Klopse?« Robert sah ihn erstaunt an. »Nee, für mich dann lieber ein ordentliches Steak. Vorausgesetzt, wir kommen aus diesem Schlamassel hier noch lebend raus!«, wiederholte er schnell, ohne völlig davon überzeugt zu sein.
Als die Rote Armee die Rigaer Bucht erreichte, war die Heeresgruppe Nord bereits in Estland und Lettland abgeschnitten. Doch immer noch wurden Illusionen genährt, die kaum einer mehr glaubte. Die neue Hiobsbotschaft, Königsberg sei bei einem schweren Bombenangriff in Schutt und Asche gelegt worden, war für Paul wie ein Hieb in den Magen. Was war mit Christine, seiner Schwester? Hatte sie das überlebt? An Magdalena wagte er gar nicht mehr zu denken. Sie hatte ihn vergessen, war abgetaucht dorthin, wo er keinen Zugang hatte. Und immer neue, schreckliche Nachrichten verbreiteten sich, von zerstörten Städten, von Brand- und Napalmbomben, von Gasangriffen, von der fortschreitenden Vernichtung und Zerstörung eines ganzen Landes.
Pauls Vorgesetzter, ein neu eingesetzter junger Offizier mit Namen von Steinheim, der noch nicht viel vom Krieg gesehen hatte, war einer derjenigen, die immer noch fanatisch an Hitlers Märchen vom Endsieg glaubten und vor Tatendrang platzten. Als eine in Schwierigkeiten geratene Einheit per Funk um Hilfe und Ersatzteile wegen eines schweren Motorschadens bat, wollte er unbedingt seinen Mut beweisen. Da man durch die mit Maschinengewehren überwachte Schusslinie der Russen hindurchmusste, um die Kameraden zu erreichen, wurde das Vorhaben als unmöglich eingestuft. Doch der junge Offizier schlug alle Warnungen in den Wind und befahl ausgerechnet Paul, den er wegen seiner technischen Kenntnisse schätzte, ihn bei seinemwahnwitzigen Vorhaben zu begleiten. Ohne Deckung durch ein stabiles Geschütz oder einen Panzer schien ein Durchkommen unmöglich, aber Paul musste zähneknirschend gehorchen, die notwendigen Ersatzteile herrichten, bevor er auf dem Beifahrersitz Platz nahm. Von Steinheim brauste mit Vollgas los. Es war eine Höllenfahrt, und sie blieben, wie im schlimmsten Fall vorausgesehen, mitten auf der Strecke in einem Schlagloch stecken.
Paul sprang aus dem Wagen, schob an und kassierte dabei eine Kugel in den Unterarm und einen Streifschuss an der Schulter. Der Offizier brach mit einer Rückenverletzung über dem Steuer zusammen und verlor das Bewusstsein. Paul schob ihn beiseite,
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