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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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Bierkutscher, wer denn ihr Dritter werden würde. In den Ersten Ehestandsschoppen gehörte nach Meinung aller Stammgäste und Nachbarn schließlich ein Mann. Auch brauchten die drei Söhne einen Vater. Also würde die Lisa gut daran tun, bald wieder zu heiraten. Als es jedoch so weit war und tatsächlich ein Dritter bei Lisa Lenz angeklopft hatte und willkommen geheißen worden war, waren Gäste, Söhne, Verwandt-, Bekannt- und Nachbarschaft entsetzt: Wie hatte die Lisa nur ausgerechnet auf den Willi Meisel reinfallen können? Dieser Rangierer vom Betriebsbahnhof Rummelsburg war doch eine Null; ein Mann, an dem nichts, aber auch wirklich gar nichts war. Zwar trug er seine kurzen weißen Haare sorgsam gescheitelt, zwar zierte seine Oberlippe ein kurz gestutztes Bärtchen, als hätten zwei dicke Albino-Fliegen sich darauf niedergelassen, ein Clark Gable war er deswegen aber nicht. Der Kerl, der schon auf die sechzig zuging, war ja nicht nur viel zu alt für die Lisa, der war ein ausgemachtes Kuckucksei. Suchte nur ein gemachtes Nest. Sah die Lisa das denn nicht?
    Niemand wusste, was die Mutter an diesem Willi Meisel fand, der nun schon seit einigen Monaten Abend für Abend an ihrer Theke stand, immer in der dunkelblauen Reichsbahneruniform mit dem goldenen Adler auf Brust und Mütze. Irgendwie aber musste er es verstanden haben, die Mutter für sich einzunehmen, dieser »Schnurrbart-Meisel« mit den ewig unsicher blickenden, wasserhellen Augen, von dem später erzählt wurde, seine erste, schlimm nervenkranke Frau hätte sich seinetwegen mit Seife vergiftet. Er gab sich ja auch sehr fürsorglich, der »Onkel Willi«. Speckseiten schleppte er an, Eier, Mehl, Dauerwürste und – extra für Manni – auch mal eine Rolle Drops. Alles Dinge, die es sonst kaum gab und die auf dem schwarzen Markt erst einmal bezahlt sein wollten. Schnurrbart-Meisel hatte sie natürlich nicht bezahlt, aber Schnurrbart-Meisel war Rangierer. Da gab es Gelegenheiten. Ein Griff in diesen Waggon, einer in jenen; was nicht essbar war, wurde getauscht. Und galt Klauen und Schieben in dieser Zeit etwa als ehrenrührig? Im Gegenteil, je mehr einer klaute und je geschickter er schob, desto tüchtiger war er. Ehrenrührig war nur – jedenfalls nach Ansicht der Familie, der Freunde und Bekannten –, die Frau zu umwerben, obwohl man in Wahrheit doch nur die Kneipe im Auge hatte.
    Willi Meisel ließ sich durch diese Antipathie nicht stören, und Heiligabend 1949 wagte er zum ersten Mal, sich den drei Jungen zu nähern. Als Weihnachtsmann. Die Mutter hielt die Bescherung wohl für eine gute Gelegenheit, eventuelle Widerstände zu brechen. Im mit dem Futter nach außen gekehrten Mantel und Pappmaske vor dem Gesicht trat er vor die drei Jungen, der Weihnachtsmann »Buffke«, wie Wolfgang den zukünftigen neuen Vater nur nannte, und musste schon bald erkennen, dass der siebzehnjährige Robert durch nichts mehr zu gewinnen war und der dreizehnjährige Wolfgang ihn so vehement ablehnte, dass es besser war, ihn in Ruhe zu lassen. Blieb nur Manni, an den er sich halten konnte; der kleine Manni, der immer erst mal vertraute, wenn ihm jemand freundlich entgegenkam, und dem es egal war, wer ihm die Geschenke überreichte, wenn es nur möglichst viele waren.
    Die Mutter bemerkte die Kälte ihrer beiden Großen und ärgerte sich. »Wer weiterlebt, der lebt nun mal«, sagte sie, nachdem Schnurrbart-Meisel wieder verschwunden war. »Oder wollt ihr, dass ich, wenn ihr aus dem Haus seid, bis ans Ende meiner Tage allein bin?«
    Die Söhne jedoch blieben bei ihrer Abneigung, während die Mutter daran festhielt, dass ihr ein neuer Mann zustand. Doch es dauerte nicht lange und sie musste erkennen, dass alle, die ihr abgeraten hatten, im Recht waren. Kaum war das große Kneipenhochzeitsfest mit Lampions, Girlanden und Musikern vorüber, entpuppte er sich, der frisch gebackene »Herr Wirt«. Nachmittag für Nachmittag legte er sich im Hinterzimmer zu einem zweistündigen Schläfchen auf die Couch, während die Mutter die Gäste bediente. Kam er endlich wieder zum Vorschein, stand er nur hinter der Theke, zapfte Bier und ließ die Mutter weiterrennen. Dabei wurde er, ein eigentlich eher schlanker Typ, mit der Zeit immer speckiger. Schon bald zierten ihn ein feister Nacken, Hamsterbäckchen und Spitzbauch. Der Mutter aber fehlte Tante Lucie, die das junge Glück nicht hatte stören wollen und nach Köpenick gezogen war, um dort die Kinder ihrer jüngeren Schwester zu betreuen.

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