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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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Was bedeutete, dass die Mutter, die nun auch den Haushalt zu versorgen hatte, an sieben Stellen zugleich sein musste.
    Es stand fest: Die Mutter war ein Unglücksvogel, das Pech verfolgte sie von frühester Jugend an. Ihr Vater war im Ersten Weltkrieg gefallen, ihr zweiter Mann im Zweiten. Ihre Mutter war früh gestorben, ihr erster Mann ebenfalls, der mittlere Sohn gerade mal vierzehn geworden. Nun hatte sie einen dritten Mann, der sie hereingelegt hatte, wie man nur eine Frau hereinlegen konnte.
    In den Büchern, die Manni später las, gab es so schöne Dinge wie wahre Liebe, Glück und Freundschaft; die Mutter, so seine feste Überzeugung, hatte von all dem nichts erlebt. Und wenn doch, dann immer nur für kurze Zeit. Aber sie musste davon geträumt haben. Wenn sie, was nur sehr selten vorkam, mit ihm im Corso am Gesundbrunnen irgendeine rührselige Liebesschnulze oder einen immergrünen Heimatfilm gesehen hatte, wie entspannt sie danach nach Hause fuhr! Wie albern sie kichern konnte, wenn sie versuchte, Sonja Ziemanns liebesschmachtende Blicke nachzuahmen. Es gab aber nur wenige Momente, in denen Manni die Mutter so heiter erlebte, und hatte sie mal eine gute Zeit, wurde sie schon bald dafür bestraft, wie in jener Silvesternacht 1949. Da war die Mutter so lustig und voller Übermut mit allen Gästen auf die Straße hinausgelaufen, um zuzusehen, wie das neue Jahr mit Schwärmern, Kanonenschlägen, Funkenregen und Leuchträdern begrüßt wurde. Sie hielt ihn, den Sechsjährigen, der Otto Grüns viel zu großen Zylinder auf dem Kopf trug, an der Hand und flüsterte ihm leise zu: »1950 – das klingt gut! Bestimmt wird es ein schönes Jahr!«
    Es wurde das Jahr, in dem Onkel Willi kam und Wolfgang starb.
    Den Säugling Manni hatte vor allem Robert am Hals gehabt. Auf fast allen Fotos aus jener Zeit sitzt er auf Roberts Schoß oder er reitet auf seinen Schultern. Von dem Tag an aber, an dem der Älteste der drei Söhne der Lisa Lenz am Kurfürstendamm eine Lehre als Koch antrat, lief Manni hinter Wolfgang her. Wolfie, der so gut Fußball spielen konnte, den die Kinder in der Straße als Persönlichkeit respektierten und mit dem er über fast alles reden konnte, wurde sein bewunderter Held. Andere Kinder protestierten dagegen, die Kleidung ihrer älteren Geschwister auftragen zu müssen, Manni blähte sich vor Stolz, wenn er endlich in Wolfgangs Klamotten hineinpasste. Nahm der große Bruder ihn mit auf den Exer, wie der ehemalige Exerzierplatz an der Schönhauser Allee noch immer genannt wurde und auf dem es so viele Fußballplätze gab, dann war er Wolfies Keule, sein Sportbeutelträger und Adjutant. Und weil er immer und bei allem an des Bruders Seite war, glaubte er lange, mitschuldig an dessen frühem Tod zu sein.
    Es passierte an einem Tag, auf den Wolfgang sich sehr gefreut hatte. Sein Verein, der SC Nordring, spielte gegen den BC Pankow, und der Jugendtrainer des berühmtesten Berliner Vereins Hertha BSC wollte kommen, um ihn sich mal anzuschauen, galt er doch als großes Talent, der Wolfgang John. Am Vormittag jenes Tages gab es wie immer Schulspeisung – war ja noch lange nicht gesichert, dass jedes Kind einmal am Tag »einen warmen Löffel in den Bauch bekam« – und diesmal wurde Erbsensuppe ausgeteilt. Doch die Erbsen waren steinhart, viele Kinder, auch Manni, kippten ihr Essen in die Schulklosetts, obwohl das natürlich verboten war, weil es die Abflüsse verstopfte. Der große Bruder, ansonsten keine solche Schlingpflanze wie der Erstklässler Manni, dachte nur an das nachmittägliche Fußballspiel und den Hertha-Trainer und löffelte seine Suppe aus.
    In der Endphase des Spiels, Nordring führte und musste sich gegen die wild angreifenden Pankower verteidigen, geschah es dann: Der Bruder wollte einen scharf getretenen Ball mit der Brust stoppen und bekam ihn vor den Bauch. Wolfie, der sich auf dem Schlackeplatz wälzt, die Jungen in den rotweißen Trikots, die um Wolfie einen Kreis bilden, die drei Trainer, die ihn mit besorgten Mienen untersuchen, dazu er selbst, wie er voller Angst neben dem Bruder niederkniet – ein Bild, das Manni nie vergessen sollte. Wolfgang aber spielte seinen Schmerz herunter, sagte, es gehe ihm schon wieder besser. Erst auf dem Heimweg, als sie miteinander allein waren, verstellte er sich nicht mehr. Da setzte er sich immer öfter auf den Rinnstein, um zu verschnaufen – und verlangte von Manni, der Mutter nichts von der ganzen Sache zu erzählen: »Sonst schimpft se nur

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