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Kuss im Morgenrot: Roman

Kuss im Morgenrot: Roman

Titel: Kuss im Morgenrot: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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erfahren, dass Sie eine Brille brauchen?«
    »Da war ich fünf oder sechs. Ich lebte damals mit meinen Eltern in Holborn, in einer heruntergekommenen Mietwohnung in der Portpool Lane. Da Mädchen damals nicht zur Schule gehen durften, bekamen wir Unterricht von einer Frau aus der Stadt. Sie erzählte meiner Mutter, dass ich ein sehr gutes Gedächtnis hätte, dass ich aber, wenn es ans Lesen und Schreiben ging, etwas schwer von Begriff sei. Eines Tages schickte mich meine Mutter los, vom Metzger ein Paket abzuholen. Der Laden war nur zwei Straßen entfernt, aber ich schaffte es trotzdem, mich zu verlaufen. Ich sah alles nur verschwommen. Man sammelte mich dann ein paar Straßen weiter heulend auf und führte mich zu dem Metzger.« Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. »Er war so ein freundlicher Mann! Als ich ihm erzählte, dass ich nicht alleine nach Hause zurückfinden würde, sagte er, er hätte da eine Idee. Er gab mir die Brille seiner Frau, damit ich sie einmal ausprobierte. Ich konnte nicht glauben, wie die Welt aussah. Wundervoll! Ich konnte die Muster der Ziegelsteine an den Mauern sehen und die Vögel in der Luft und sogar das Gewebe der Metzgerschürze. Jetzt wisse ich, was mein Problem sei, sagte er. Ich konnte einfach kaum etwas sehen. Und seither trage ich eine Brille.«
    »Waren Ihre Eltern erleichtert, als sie erfuhren, dass ihre Tochter am Ende doch nicht schwer von Begriff war?«
    »Ganz im Gegenteil. Sie stritten sich wochenlang darüber, welche Seite der Familie für meine schwachen Augen verantwortlich sei. Meine Mutter war ziemlich erschüttert, weil die Brille, wie sie meinte, meine Erscheinung beeinträchtigte.«
    »So ein Blödsinn!«
    Sie blickte reumütig drein. »Meine Mutter hatte keinen … wie soll ich sagen … besonders starken Charakter.«
    »Ihre Handlungen – den Ehemann und Sohn zurückzulassen und sich mit einem Liebhaber nach England auf und davon zu machen – lassen ein Übermaß an Prinzipien auch nicht gerade vermuten.«
    »Als Kind dachte ich immer, meine Eltern wären verheiratet«, sagte sie.
    »Haben Ihre Eltern sich geliebt?«
    Während sie über die Antwort nachdachte, kaute sie auf der Unterlippe und lenkte seine Aufmerksamkeit auf ihren verlockend weichen Mund. »Sie fühlten sich zueinander hingezogen in einem körperlichen Sinn«, räumte sie ein. »Aber das ist wohl nicht Liebe, oder?«
    »Nein«, sagte er in sanftem Ton. »Was geschah mit Ihrem Vater?«
    »Darüber möchte ich lieber nicht sprechen.«
    »Nach allem, was ich Ihnen von mir erzählt habe?« Er warf ihr einen tadelnden Blick zu. »Seien Sie fair, Marks. Es kann für Sie nicht schwerer sein als für mich.«
    »Also gut.« Catherine holte tief Luft. »Als meine Mutter krank wurde, empfand mein Vater das als große Last. Er bezahlte eine Frau dafür, dass sie sich bis zum Ende um sie kümmerte, und schickte mich zu meiner Tante und meiner Großmutter. Ich habe nie wieder etwas von ihm gehört. Soweit ich weiß, ist er inzwischen verstorben.«
    »Das tut mir leid«, sagte Leo. Und es tat ihm wirklich leid. Aufrichtig leid. In diesem Augenblick wünschte er sich, er könnte einfach die Uhr zurückdrehen und ein kleines Mädchen mit Brille trösten, das auch noch von dem Mann verlassen wurde, der sie hätte beschützen müssen. »Nicht alle Männer sind so.« Er hatte das starke Bedürfnis, das klarzustellen.
    »Ich weiß. Es wäre nicht fair von mir, die gesamte männliche Spezies für die Sünden meines Vaters verantwortlich zu machen.«
    Leo wurde sich schmerzlich bewusst, dass er sich selbst auch nicht viel besser verhalten hatte als ihr Vater. Dass er so sehr in seinem eigenen bitteren Leid versunken war, dass er seine Schwestern einfach so im Stich gelassen hatte. »Kein Wunder, dass Sie mich immer so gehasst haben«, sagte er. »Ich muss Sie an Ihren Vater erinnern. Ich habe meine Schwestern verlassen, als sie mich gerade dringend gebraucht hätten.«
    Catherine starrte ihn offen an, ohne Mitleid, ohne Kritik, einfach nur … taxierend. »Nein«, erwiderte sie ernst. »Sie sind überhaupt nicht wie er. Sie sind zu Ihrer Familie zurückgekehrt. Sie haben für Sie gesorgt, sich um sie gekümmert. Und ich habe Sie nie gehasst.«
    Leo starrte sie sprachlos an, mehr als ein wenig überrascht angesichts dieser Enthüllung. »Wirklich nicht?«
    »Nein. Tatsächlich …« Sie unterbrach sich jäh.
    »Tatsächlich was?«, drängte Leo sie fortzufahren. »Was wollten Sie sagen?«
    »Nichts.«
    »Doch, Sie

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