Lea - Untermieterin bei einem Vampir
aufregender Mann war, aber Angst kreischte, dass ich mir selbst untreu wäre, wenn ich mir erlaubte, schwach zu werden.
Vierundzwanzig Jahre Vorprägung, in denen ich mir immer wieder schauervolle Abneigungen gegen Vampire aufgebaut hatte, ließen sich nicht einfach hinfort küssen. Tom blickte mich zerknirscht an.
„So betrunken sahst du gar nicht aus, Lea.“
„ Ja, mir sieht man das nie so recht an irgendwie, wenn ich Alkohol trinke. Zum Glück.“ Ich setzte noch einen drauf. Wenn ich schon log, dann kreativ. „Ähm Tom, die Frage ist mir jetzt peinlich, aber ich muss es einfach wissen.“
Er blinzelte. War da Erwartung?
„Bitte sag mir, ob ich mich übergeben musste. Das wäre mir so unangenehm.“
Er schüttelte den Kopf, schloss die Augen und als er sie wieder öffnete ruhte sein Blick auf der Zimmerdecke, als suchte er dort nach Antworten, die er bei mir nicht fand. Ich vermied es, ihn dabei zu beobachten und sah wieder auf meinen Teller. Noch ein Bissen Torte folgte, doch sie schmeckte nicht so gut, wie sie es eigentlich tat. Denn mein Mund war schal vom Verrat an Tom. Ich musste es durchstehen, diese Szene fertig spielen und dann intensiv nachdenken.
„Dann bin ich beruhigt. Was sollte ich immer noch wollen?“, fragte ich ihn nun und griff damit seinen früheren Satz auf. Allerdings fühlte ich mich mies dabei. Heuchlerin! zischte mein innerer Engel mir enttäuscht zu. Du kennst doch ganz genau die Antwort! Was quälst du ihn da durch? Aber es würde doch merkwürdig aussehen, wenn ich nicht fragte, was er so unbedingt hatte wissen wollen.
Tom atmete abrupt ein. Ich sah seinen Schmerz. Benommen stand er auf und lief zur Tür.
„Ich glaube, ich habe den Herd angelassen“, murmelte er und verschwand. Er kam nicht mehr zurück zu mir.
Ich wusste, dass ich bald mit meinen Gefühlen und meinen Vorstellungen in Einklang kommen musste. Falls ich mich für Tom entschied, musste ich dahinter stehen, durfte ich uns nicht ständig anzweifeln. Die letzte Nacht hatte mir völlig deutlich gemacht, dass es Tom verdammt ernst war. Er hatte Gefühle für mich und er hatte sie nicht erst seit gestern. So lange, so unendlich lange habe ich darauf gewartet. Das waren seine Worte gewesen. Und gleichzeitig setzte mir die Stärke seiner Emotionen eine zeitliche Grenze, denn noch viel länger würde er es wohl nicht ertragen können, mich zu sehen und nicht haben zu können. Jeder Tag, der verging, würde mir ein schlechtes Gewissen bereiten, weil ich mit jeder Sekunde, die ich brauchte, um meine Entscheidung zu fällen – sie zu erkennen, zu fühlen was für mich richtig war – Schmerzen in Tom verursachte. Zur Hölle, ich wusste selbst was Liebeskummer war. Es war eine Weile her, aber unerfüllte Sehnsüchte, die sich wie in unserem Fall auch noch durch ständige Anwesenheit verdeutlichten und verstärkten, machten einen vollkommen fertig. Wenn man verliebt war, schien außer Liebe nichts mehr wichtig. Ich konnte Tom nicht so strukturlos und verzweifelt machen.
Was dachte er wohl nun? Tat es ihm leid, dass er gestern ein solch anständiger Kerl war, der meinen alkoholisierten Zustand nicht ausgenutzt hatte? Und was sollte ich von alldem halten? Ich wusste schließlich, dass ich nicht halb so blau war, wie ich ihn glauben machte. Erneut hatten Toms Selbstdisziplin, sein eiserner Wille und seine moralischen Prinzipien sich darum gekümmert, dass meine Vorstellungen geachtet wurden. Dieses Opfer war umso größer, da er sich damit gegen seine eigenen Wünsche entschieden hatte.
Mir selbst waren in der letzten Nacht all meine Zweifel egal gewesen. Ich hatte nicht sehr weit gedacht. Und er bügelte meine Fehler aus. Meine Ignoranz. Ich hatte mich danach gesehnt, einmal nicht denken zu müssen, einmal nicht nur die Konsequenzen im Blick zu haben, sondern einen Moment so zu nehmen wie er war, ihn auszukosten mit allen Genüssen und keine Hemmungen angesichts künftiger Reue zu kennen. Ich hatte einmal nicht vernünftig, sondern meinen Hormonen folgend handeln wollen. Mein Kopf und mein Körper waren keinesfalls im Einklang. Sie bewohnten einander nur zufällig in meiner Person. Ich kam mir vor, als sei ich schizophren, denn ich war wirklich gespalten in zwei Teile: meine Sehnsucht und meine Phobie. Zusammengenommen bildete das einen großen Vorbehalt, mir selbst zu trauen.
Das allergrößte Debakel war doch, dass Tom meine schönsten Träume und meine erschütterndsten Albbilder in sich kombinierte. Ihn zu wollen
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